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Kraftwerk Spiggebach produziert sauberen Strom aus dem Kiental6 min read

5. September 2018, Lesedauer: 4 min

Kraftwerk Spiggebach produziert sauberen Strom aus dem Kiental6 min read

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Gleich zwei Kleinwasserkraftwerke innerhalb von zwei Wochen nahm der Schweizer Energiekonzern BKW im Spätsommer des Vorjahres im Berner Oberland offiziell in Betrieb.

Zur Realisierung des Projekts wurde die Kraftwerk Spiggebach AG (KSA) mit Sitz in Reichenbach gegründet. Die Partnergesellschaft steht im Besitz der BKW, der Burgergemeinde Bern sowie der Gemeinde Reichenbach. Das in einer Bauzeit von rund zwei Jahren errichtete Kraftwerk nutzt das energetische Potential des namensgebenden Spiggebachs, der mit einem selbstreinigenden Coanda-Rechen gefasst und auf einer Gesamtlänge von knapp 900 m ausgeleitet wird. Die Rohrtrasse verläuft im oberen Teil als aufgeständerte Variante mit GFK-Rohren in einem Stollen und geht im Anschluss in eine erdverlegte Gussleitung über. Einer 4-düsigen Pelton-Turbine in der unterirdisch angelegten Anlagenzentrale stehen eine maximale Ausbauwassermenge von 1.550 l/s sowie eine Fallhöhe von 226 m zur Verfügung. Im Regeljahr kann die Anlage mit ihrer Produktion von rund 10,5 GWh den durchschnittlichen Stromverbrauch von 2.500 durchschnittlichen Haushalten im Berner Oberland decken.

Das Kiental im Kanton Bern ist sowohl eine Dorf- als auch eine Regionsbezeichnung und gehört in politischer Hinsicht zur Gemeinde Reichenbach. Geographisch befindet sich die von Landwirtschaft- und Tourismus geprägte Region mit rund 200 Einwohnern nordöstlich des Kandertals. Mit seiner gebirgigen Topographie und dem reichen Wasservorkommen bietet das Kiental ideale Voraussetzungen zur hydroelektrischen Stromproduktion. Bereits 2008 wurde ein Konzept zur Errichtung eines Wasserkraftwerks am Spiggebach entwickelt, dabei sollte das energetische Potential zwischen den Abschnitten Spiggegrund und Loosplatte genutzt werden. Für den rechtlichen Rahmen und die Finanzierung des Projekts wurde die Kraftwerk Spiggebach AG (KSA) mit Sitz in Reichenbach gegründet. An der Partnergesellschaft sind die betriebsführende BKW mit 51 Prozent, die Burgergemeinde Bern mit 47 Prozent und die Gemeinde Reichenbach mit 2 Prozent beteiligt. Nachdem noch 2008 ein erstes Konzessionsgesuch eingereicht wurde, vergingen bis zum ersten Spatenstich im Sommer 2015 rund sieben Jahre.

Geologie erfordert Trassenänderung
„Der Bau des Kraftwerks Spiggebach hatte sich aufgrund verschiedener geologischer sowie hydrogeologischer Probleme im Projektgebiet verzögert. Dies resultierte schließlich in einer Änderung der Trassenführung der Druckrohrleitung, die entgegen den ersten Planungen im oberen Abschnitt anstelle einer erdverlegten Variante in einem Stollen durch den Berg geführt werden sollte“, erklärt BKW-Projektleiter Alexander Andreaus. Bei den umfangreichen Planungstätigkeiten setzte die KSA auf die Kompetenz mehrerer Unternehmen. Während die technische Gesamtprojektleitung von der Schweizer Emch+Berger Holding AG betreut wurde, erledigte das deutsche Ingenieurbüro Dr.-Ing. Koch aus Kempten die Planungen für die kompletten Hoch- und Tiefbauarbeiten. Das Projekt bewirkte auf wirtschaftlicher Ebene einen hohen regionalen Wertschöpfungsfaktor, der Großteil der kostenintensiven Beton- und Stollenbauarbeiten wurde bei der öffentlichen Ausschreibung an Unternehmen aus dem Berner Oberland vergeben. Nach dem Erhalt der Konzession und Baubewilligung starteten die konkreten Arbeiten fast zeitgleich am Stollenportal und dem Standort der Zentrale im August 2015.

Wasserfassung reinigt sich selbst
An der Wehranlage setzten die Betreiber wie bei den BKW-Anlagen Tinizong und Fermelbach auf die bewährte selbstreinigende Coanda-Technik des Südtiroler Stahlwasserbauspezialisten Wild Metal GmbH. Das 11,5 m breite Schutzrechensystem der Serie „Grizzly Protec“ ist auf seiner Oberseite mit einem robusten feuerverzinkten Stahlgitter versehen. Der unmittelbar darunter liegende Feinrechen wird dadurch optimal von groben Gesteinsbrocken und angeschwemmten Ästen geschützt. Durch das äußerst schmale Spaltmaß von nur 0,4 mm sorgt der Feinrechen für eine Minimierung des Sandeintrags in die Wasserfassung. Das Überwasser wird an der Unterseite des Coanda-Rechens automatisch ausgespült und bewirkt somit eine zusätzliche Selbstreinigung der Rechenstäbe. Direkt an die Wasserfassung schließt ein bogenförmig ausgeführter Einlaufkanal an, dem gleichzeitig die Funktion des Entsanders zukommt. Durch eine Reduzierung der Fließgeschwindigkeit sinken die feinen Sedimente auf den Boden des Kanals und werden anschließend ausgespült. Da sich der Unterwasserbereich der Wehranlage durch eine natürliche Gefällestufe für Fische unpassierbar darstellt, konnte auf die Errichtung einer Fischaufstiegshilfe verzichtet werden.

Rohrleitung verläuft durch Berg
Mit dem Stollendurchbruch konnte im Oktober 2016 ein bedeutender Projektmeilenstein gefeiert werden. Der fast 600 m lange Rohrstollen wurde zur Gänze mittels bergmännischen Sprengvortriebs erstellt. „Obwohl der zuständige Geologe komplexere Gesteinsverhältnisse erwartet hatte, verlief die Arbeit der Mineure weitestgehend ohne Probleme. Im Schnitt schafften sie rund sechs Meter Vortrieb pro Tag“, sagt Projektleiter Andreaus. Die entlang des leicht bogenförmigen Stollenverlaufs in aufgeständerter Variante verlegte Druckrohrleitung besteht zur Gänze aus glasfaserverstärkten Kunststoffrohren (GFK) des Herstellers Amiblu. Insgesamt wurden 575 m GFK-Rohre mit einem Durchmesser von 800 mm verlegt. Im Anschluss an den Stollenabschnitt gehen die GFK-Rohre aufgrund des steilen Geländes und der anspruchsvollen Bodenbedingungen in eine robuste Gussleitung über. Die duktilen Gussrohre der Dimension DN800 des Herstellers St. Gobain stellte die Schweizer Wild Armaturen AG bereit. Um eine Drainage des mit 48 Grad (ca. 111 Prozent Neigung) äußerst steilen Trassenabschnitts direkt nach dem Stollenübergang zu verhindern, wurde das Erdreich entlang der Druckleitung mit massiven Betonriegeln verstärkt. Die Gesamtlänge des abschließenden Gussrohrabschnitts bis zum Übergang in die Zentrale beträgt 315 m.

Gut versteckte Zentrale
Die Stromproduktion des neuen Kraftwerks im Kiental verläuft sowohl optisch als auch akustisch in höchstem Maße diskret. Um das natürliche Landschaftsbild der Loosplattenalp so wenig wie möglich zu beeinflussen, wurde die Zentrale zu weiten Teilen unterirdisch angelegt. Über der Erde geben nur ein Zugangsportal sowie ein großformatiges Sichtfenster mit Ausblick auf den Maschinensatz einen Hinweis auf die Anlage. Außen am Sichtfenster wurde für interessierte Personen, die an der Zentrale vorbei wandern, ein eigener Lichtschalter installiert. Auf Knopfdruck erhellt sich das Innere der Zentrale und eröffnet einen hervorragenden Einblick auf die moderne Technik. Wie bei der Wasserfassung setzten die KSA bei der Ausrüstung der Zentrale auf die Kompetenz eines Unternehmens aus Südtirol. Die gesamte elektrohydraulische Ausstattung inklusive Elektro- und Leittechnik wurden von den Wasserkraft-Allroundern Troyer AG bereitgestellt und installiert. Zur Stromgewinnung kommt eine vertikale Pelton-Turbine mit vier innenliegenden hydraulisch geregelten Düsen zur Einsatz. Dank der Ausstattung mit mehreren Düsen erreicht die Turbine auch im Teillastbetrieb während der trockenen  Herbst- und Winterperiode optimale Wirkungsgrade. Bei einer Ausbauwassermenge von 1.550 l/s und einer Bruttofallhöhe von 226 m schafft die Maschine eine Engpassleistung von über 2,9 MW. Als Energiewandler dient ein direkt mit der Turbinenwelle gekoppelter Synchron-Generator der tschechischen Traditionsmarke TES VSETÍN. Für Kühlzwecke wurde der auf eine Nennscheinleistung von 3.900 kVA ausgelegte und wie die Turbine mit 600 U/min drehende Generator mit einer eigenen Wasserkühlung mittels Wärmtauscher ausgestattet. Aufgrund der starken Radialkräfte, die von der Turbine ausgehen, wurden Gleitlager verbaut. Darüber hinaus bewältigt der Generator mit einer Anschlussspannung von 6.300 V problemlos 2- und 3-Phasen-­Kurzschlüsse.

Fertigstellung nach zwei Jahren
Nach knapp 9 Monaten durchgehenden Betriebs wurde die Turbine vor dem Einsetzen der Schneeschmelze im heurigen Frühjahr bei einer Routinewartung genau inspiziert. „Dabei hat sich gezeigt, dass sich das Laufrad, die Düsen sowie die generelle Technikperipherie in einem sehr guten Zustand befinden“, erklärt Projektleiter Andreaus und stellt im gleichen Zug den an der Umsetzung beteiligten Unternehmen ein sehr gutes Zeugnis aus. Von der Qualität des mustergültig umgesetzten Kraftwerks Spiggebach konnte sich die Öffentlichkeit bereits im Vorjahr kurz nach der Inbetriebnahme einen Eindruck machen. Im Rahmen eines von der KSA veranstalteten Tags der offenen Tür erhielten die Besucher Ende August von den Technik-Spezialisten Einblicke in die Funktionsweise der Anlage. In Summe investierte die KSA rund 19 Millionen CHF in die Realisierung des Projekts, dessen Jahresproduktion von rund 10,5 GWh Ökoenergie zur Gänze ins öffentliche Netz eingespeist wird und somit den Strombedarf von umgerechnet etwa 2.500 durchschnittlichen Haushalten deckt.

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