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Bruck an der Mur gelingt mit Traditionskraftwerk der Sprung in die Neuzeit14 min read

6. Dezember 2021, Lesedauer: 9 min

Bruck an der Mur gelingt mit Traditionskraftwerk der Sprung in die Neuzeit14 min read

Lesedauer: 9 Minuten

Eines der komplexesten Flusswasserkraftwerkprojekte Österreichs steht nach rund zweijähriger Bauzeit unmittelbar vor dem Abschluss: In Bruck an der Mur ist sowohl die Sanierung des fast 120 Jahre alten Kraftwerks Murinsel…

… als auch der komplette Neubau der Wehranlage in Oberaich inklusive Wehrkraftwerk fertiggestellt. Dank hervorragender Arbeit aller Beteiligten können sich die Stadtwerke Bruck an der Mur über ein gutes Erzeugungsplus von rund 40 Prozent freuen. In Zukunft werden das „Pfeilerkraftwerk“, also die Maschinen in der Wehranlage, und das traditionsreiche Kraftwerk Murinsel im Regeljahr rund 36 GWh in das Netz liefern.

Das Kraftwerk Murinsel, Baujahr 1903, war 2017 an einem Scheideweg angelangt: Im August 2018 lief das beste- hende Wasserrecht aus, und ein gangbarer Weg für eine Wiederverleihung war noch nicht in Sicht. „Wenn heute ein Wasserrecht auf 90 Jahre von den Behörden verliehen wird, dann muss die Anlage dem Stand der Technik entsprechen. Das war vor fünf Jahren nicht der Fall“, betont DI Karl Michael Pittino, dessen Planungsteam zu dieser Zeit vom Bauherrn zu Rate gezogen worden war. Zwar hatten die Verantwortlichen bereits 2016 eine neue Fischaufstiegshilfe errichtet und das alte Kraftwerk ausgenommen die Wehranlage vollständig automatisiert, dennoch war klar: Mit reinen Sanierungsarbeiten wird man die Wiederverleihung nicht erreichen. Es brauchte deutlich mehr. „Wir sind wie bei unseren Planungsstrategien üblich mit der grundsätzlichen Fragestellung an das Projekt herangegangen: Wie würden wir das Ganze bauen, wenn es hier noch nichts gäbe? Und dann nahmen wir Schritt für Schritt die gegebenen Rahmenbedingungen in die Überlegungen auf. Letztlich haben wir festgestellt, dass das bestehende Kraftwerkskonzept passt. Das führte uns zur entscheidenden Frage: Wie können wir das Potenzial hier am Standort bestmöglich ausschöpfen?“, führt DI Pittino aus.

„Ließe sich so nicht mehr realisieren“
Es bestand also akuter Handlungsbedarf. Bei Inaktivität wäre tatsächlich die Stilllegung der Traditionsanlage auf der Murinsel die Folge gewesen. „Das galt es unter allen Umständen zu vermeiden. Ein Kraftwerk inmitten eines Stadtgebiets ließe sich heute kaum mehr reali- sieren“, sagt DI Pittino. Obwohl das Kraftwerk Murinsel in einer Kraftwerkskette liegt, konnte durch die gewählte Vorgangsweise ein UVP-Verfahren vermieden werden. Weiters war zu berücksichtigen, dass das Kraftwerks­ensemble unter technischem Denkmalschutz steht.“ Gemeinsam mit seinem Team gelang es dem erfahrenen Wasserkraftplaner aus Graz innerhalb von vier Monaten, auf Basis eines umfangreichen Variantenstudiums ein Projekt auszuarbeiten, das sowohl die Verantwortlichen im Aufsichtsrat als auch letztlich die Behörden und alle vom Projekt Berührten überzeugen konnte. Konkret ging es im Wesentlichen darum, ein neues Konzept für die Wehranlage zu finden, die wasserwirtschaftliche Auslegung auf neue Beine zu stellen und das alte Kraftwerk auf den Stand der Technik zu bringen.

Wasserrecht für 90 Jahre
„Die alte Wehranlage musste erneuert wer- den. Daran führte kein Weg vorbei. Der Hochwasserschutz war streng genommen nicht mehr gewährleistet“, erklärt der Planer. Im Gegensatz zur Wehranlage durfte am Erscheinungsbild des 1,4 km flussab gelegenen Murinsel-Kraftwerks, das unter Denkmalschutz steht, nichts verändert werden.
Dafür sollte die Bestandstechnik saniert, mo- dernisiert und optimiert werden. Das erfor- derte Verständnis und Respekt vor der alten Technik, die auch ihre Stärken habe, wie DI Pittino bestätigt: „Dank der bestehenden Ausstattung mit Bremsen und Drehzahlerfassungen sowie automatischen Synchronisiervorrichtungen konnte 2016 die Automatisierung des Turbinenbetriebs erfolgen. Die alten Generatoren mit Schwungradfunktion besitzen im Hinblick auf die heute geforderten Netzkriterien immer größere Bedeutung. Damit brachte das Kraftwerk im Grunde sehr gute Voraussetzung für eine erfolgreiche Sanierung mit.“ Nachdem das Planungsbüro PITTINO den Verantwortlichen ein lösungsorientiertes Konzept, resultierend aus einem umfangreichen Variantenstudium, vorgelegt hatte, konnten wenig später auf dieser Basis die Einreichungen zu den Bewilligungen sämtlicher behördlicher Genehmigungen erfolgen. Nach nur einer, mit der Wasserrechts- und Naturschutzbehörde unter der Teilnahme der Umweltanwaltschaft gemeinsam durchgeführten Verhandlung wurde der Stadtwerke Bruck an der Mur GmbH bereits Ende November 2017 das Wasserrecht für das Kraftwerk Murinsel für 90 Jahre verliehen. Auf die Bewilligung folgten arbeitsintensive Monate, in denen einerseits die Vergabe der einzelnen Baulose und anderseits ein physikalischer Modellversuch für den Wehranlagenneubau im Mittelpunkt standen, der sich letztlich als sehr wichtig erwiesen hat.

Neues Wehranlagenkonzept
„Das erste Problem resultierte aus dem Stand der Technik hier am Standort, das zweite aus den suboptimalen wasserwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Bislang war das Kraftwerk auf 50 m3/s ausgebaut. Das ist für ein Mur-Kraftwerk am gegebenen Standort sehr gering. Man würde heute ein neues Kraftwerk an diesem Standort auf 120 m3/s bis 130 m3/s ausbauen“, erläutert DI Pittino die Voraussetzungen. Die Lösung dafür lautete: ein moderater Ausbau des ohnehin sanierungsbedürftigen Ausleitungskanals von 50 m3/s auf 60 m3/s sowie ein Wehrkraftwerk, das in der Lage ist, 60 m3/s zu verarbeiten. Damit erreicht das Gesamtensemble in Summe die avisierten 120 m3/s. Nachdem man die wasserwirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf diese Weise verbessern konnte, blieb noch die Frage nach dem neuen Konzept der Wehranlage. Denn: Was anfangs niemand vermutet hatte, war für DI Pittino schnell klar: Die Anströmung der Turbinen sollte ein sehr entscheidender Punkt werden. „Die Wehranlage ist mittig einer S-Kurve situiert. Unsere ersten 1D-Berechnungen und Entwürfe bezogen sich auf ein Kraftwerk, das orographisch rechtsufrig angelegt werden sollte. Für diese Lösung sprach einerseits die Zufahrtsmöglichkeit am rechten Ufer und anderseits die einfachere Bauweise in zwei Bauphasen. Als wir uns mit der Frage der exakten Dimensionierung beschäftigten, ergaben sowohl die 1D-Berechnungen als auch die 2D-Berechnungen (computeranimierte Strömungssimulationen), ungünstige Anströmungen zu den Wehrturbinen“, erklärt Pittino. Man stellte einen starken Innenkurveneffekt fest, der zudem für enorme Anlandungen vor den Turbinen­einläufen gesorgt hätte. Daraufhin wurde vom Planungsbüro am Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der TU Graz ein Modellversuch in Auftrag gegeben. Schließlich kann ein physikalischer Modellversuch im Hinblick auf die Detailauslegung mehr Aufschlüsse geben als analytische und numerische Methoden. So konnten sämtliche für den Betrieb der drei Wehrfelder wesentlichen Hochwasserlastfälle (bei sauberem Wasser inkl. Geschiebetrieb) durchgeführt werden. Ein unbezahlbarer Vorteil für den Betrieb eines neuen Wasserkraftwerkes an der Mur.

Neue Erkenntnisse aus dem Modellversuch
In der Folge wurde am renommierten Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der Technischen Universität Graz ein Vollmodell im Maßstab 1:40 gestaltet. Mithilfe dieses Modells sollten neben der Anströmung der Turbinen noch weitere Aspekte abgeklärt werden: etwa die Hochwassersicherheit der Anlage unter verschiedenen Bedingungen, oder die Tosbeckenoptimierung, sowie die Überprüfung der Nachkolksicherheit, oder die Funktionsfähigkeit der Geschiebeleitschwellle vor dem Turbineneinlauf, weiters die Frage nach den Anlandungen im Unterwasser. Die Ergebnisse, die im Frühjahr 2019 präsentiert wurden, bestätigten die konstruktiven Planungen und numerischen Berechnungen des Planungsbüros. Als Bestvariante stellte sich das Konzept mit einem zentral angeordnetem Pfeilerkraftwerk heraus. Der Nachteil des etwas erhöhten Bauaufwands wurde durch die Vorteile einer idealen Strömungsanordnung zu den Turbinen mehr als aufgewogen.
Darüber hinaus konnte in dem Modellversuch die Energieumwandlung im Tosbecken optimiert und damit die Tosbeckenlänge verkürzt werden. Zudem wurden Versuche im Modell zur Frage der Geschiebeanlandung durchgeführt, aus denen ebenfalls wertvolle Erkenntnisse gewonnen wurden. DI Pittino: „Im Modellversuch lässt sich außerdem sehr gut darstellen, wie sich die Anlage im Hochwasserfall verhält. Das heißt, man kann mit sauberem Wasser simulieren, was sich bei einem Hochwasser bis zum Extremfall eines HQ100 abspielt. Und – wie dabei die Verschlussorgane organisiert werden müssen, welchem Öffnungsregime sie zu folgen haben, um Geschiebe optimal abführen zu können. Das ist natürlich ein unbezahlbarer Synergieeffekt für die Betriebsführung der neuen Anlage. Die Spülprogramme wurden dahingehend angepasst.“

Rechenreinigungsmaschine mit Doppelfunktion
Eine zentrale Rolle im Konzept der neuen Wehranlage kommt selbstredend der stahlwasserbaulichen Ausrüstung zu, die vom Vorarlberger Stahlwasserbauspezialisten Künz geliefert wurde. Das gesamte Lieferpaket umfasste zwei Turbineneinlaufrechen inkl. Armierungen, einen Satz Portal-Dammbalken mit Zangenbalken für das Wehrkraftwerk, außerdem eine Turbinenauslauf-Dammtafel inkl. zwei Sätzen Armierungen. Für die Wehranlage lieferte Künz einen Satz Oberwasser-Wehrdammbalken mit Zangenbalken inklusive drei Sätzen Oberwasser- und Unterwasser-Dammbalkenarmierungen, sowie drei Wehrsegmente mit aufgesetzter Klappe und Wehr- und Gegenschwellenpanzerungen. Zudem lieferten die Vorarlberger eine fahrbare, auf dem Portal aufgebaute Rechenreinigungsmaschine RRM-H500, ausgestattet mit zwei Dammbalkenhubwerken und zudem eine rund 100 m lange Fahrbahn. Konkret handelt es sich dabei um eine 36 Tonnen schwere, verfahrbare RRM, die mit einem 16 m ausfahrbaren Knickarm ausgestattet ist. Sie kann den kompletten Einlauf an der Wehranlage bewirtschaften. „Das Besondere an der Maschine ist, dass in ihr die Eigenschaften der Rechenreinigung sowie eines Dammbalken-Hubwerks vereint sind. Sie verfügt über einen Holzgreifer, einen Polypgreifer und eine hydraulische Harke mit einem dreiteiligen Gegengreifer für die Rechenreinigung. Man kann mit der H500 somit Oberwasserdammbalken vor dem Krafthauseinlauf setzen, die Dammbalken an der Wehranlage in jeder Position setzen, den Rechen reinigen und Oberflächengeschwemmsel bis in den Ausleitungskanal hinein abgreifen“, erklärt der Projektleiter aus dem Hause Künz, DI Johannes Galehr.

Dammbalken in Lauerstellung
Als Wehrverschlüsse wurden Drucksegmente mit aufgesetzter Klappe in den drei Wehrfeldern installiert. Sie weisen eine Länge von 16,50 m und eine Höhe von 4,10 m auf, wobei die Klappe rund 1,70 m in der Höhe misst. Von deren Zuverlässigkeit und Funktion hängt wesentlich die Betriebssicherheit der neuen Anlage ab. Die Abfuhr des Bemessungshochwassers HQ100, das bei 950 m3/s liegt, wird durch das Öffnen von zwei der drei Segmente gewährleistet. Dies konnten sowohl die 1D- und 2D-Berechnungen des Planungsbüros PITTINO belegen als auch der Modellversuch. Planerisch ideal gelöst wurde die Unterbringung der Wehrdammbalken, die in der Brückenkonstruktion quasi „in Lauerstellung“ integriert wurden. „Die Wehrdammbalken konnten so hoch untergebracht werden, dass sie gut geschützt, oberhalb der Hochwasserkote liegen. Auf diese Weise sind sie nicht nur sehr platzsparend gelagert – immerhin erspart man sich bauseitig das Dammbalkenlager – sondern können auch sehr schnell zum Einsatz kommen. Im Hinblick auf eine größtmögliche Einfachheit wurden die Dammbalken baugleich ausgeführt. Besonders ist dabei, dass man sie auch im Unterwasserbereich der Wehranlage – etwa im Fall einer Tosbeckensanierung – setzen kann“, erklärt Johannes Galehr. Modern und ausgeklügelt auch die Lösung am Turbinenauslauf: Hier lieferte Künz eine quer verfahrbare Dammtafel, die mit einem eigenen Hubwerk an beiden Ausläufen gesetzt werden kann. Um Eisbildung im Bereich der Aufsatzklappen zu verhindern, wurde von den Vorarlberger Stahlwasserbauexperten eine Luftperl-Anlage installiert.
Trotz Corona-bedingter Restrik- tionen gelang eine zeitgerechte Umsetzung der Wehranlage. So konnte die stahlwasserbauliche Ausrüstung im August dieses Jahres den Probebetrieb aufnehmen und wurde im September an den Betreiber übergeben.

Versprechen wurden gehalten
Auch am Zulaufkanal bestand Handlungsbedarf: Er sollte saniert werden – in der ursprünglichen Planungsversion in Form beidseitiger homogener Erddämme, wie DI Reicher, Projektleiter vom Büro PITTINO näher erläutert: „Dagegen sprach ein Problem mit den darin verlegten Leitungen. Darum entschlossen wir uns, den Innenaufbau mittels Bentonitmatten zu realisieren, was letztlich eine technische Aufwertung darstellt, die allerdings auch baulich aufwändiger war.“ Ursprünglich war der Kanal über eine Länge von etwa 120 m mit einem zweireihigen Fichtenbestand gesäumt. Diese stellten allerdings eine echte Gefahr für den Kanal dar. Vor allem, da sie zum einen bei einem Windwurf ein Loch in den Damm reißen könnten. Zum anderen können umgefallene Bäume zu Verklausungen und Überflutungen des Kanals führen. Ihre Rodung war allerdings für einige Anrainer ein Problem, da die Fichten einen Sichtschutz gegen den dahinterliegenden Bauhof darstellten. „Am Ende konnte den besorgten Anrainern im Rahmen einer Bürgerversammlung allerdings die Dringlichkeit der Fällung erklärt und zugleich als Ersatz eine zweireihige Hecke zugesagt werden. Selbstverständlich wurde dieses Versprechen auch gehalten“, so der leitende Planer.

Who-is-Who der Wasserkraftbranche
Über den Ablauf der gesamten Arbeiten zeigt sich das Planungsteam PITTINO nun, nachdem sämtliche Gewerke den Probebetrieb aufgenommen haben, sehr zufrieden: „Das Besondere an dieser Baustelle war, dass wir nur absolute Top-Firmen der Wasserkraftbranche an Bord hatten. Das beginnt bei den grundsoliden Statikberechnungen durch Kratzer & Partner ZT GmbH aus Graz und den Bauarbeiten für die neue Wehranlage, die vom erfahrenen Team der Firma PORR exzellent umgesetzt werden – die Räume des Wehrkraftwerks sind staubtrocken. Es geht weiter über den Stahlwasserbau an der Wehranlage von der Firma Künz, weiter über den Turbinenlieferanten Andritz Hydro, den Generatorspezialisten Hitzinger und weiter über die Firma Siemens, die die Steuerung und Automatisierung übernahm, weiter über die Firma Mitterfelner, die uns perfekte Schalungen für die Saugrohre geliefert hat und reicht bis zur steirischen Firma S.K.M., die die stahlwasserbauliche Sanierung am Murinsel-Kraftwerk stemmte und die Einlaufschützen in den Oberwasserkanal und zu den Bestandsturbinen lieferte, bis zur Firma EFG aus Kärnten, die für die Sanierung der alten Turbinen und Generatorlager verantwortlich zeichnet. Das Zusammenspiel der beauftragten Unternehmen funktionierte hervorragend – und dank eines sehr strikten Corona-Schutzmaßnahmenkonzeptes auch sehr sicher.“

Perfekte Turbinenlösung
Im Februar 2021 konnten am Wehrkraftwerk bereits die Kaplanturbinen, die im Andritz-Werk in Ravensburg gefertigt wurden, eingehoben und montiert werden. Eine Montage, die vergleichsweise einfach und problemfrei vonstattenging, da die Turbinen bereits im Werk vormontiert und nahezu als fertige Einheit zur Baustelle transportiert wurden. Es handelt sich dabei um 6 m breite und 4,7 m hohe Kegelrad-Rohrturbinen mit einem Einzelgewicht von je 45 Tonnen. Die Axialturbinen mit dem 2,3 m großen Laufrad werden über eine horizontale Welle angetrieben, der Abtrieb erfolgt mittels integriertem Kegelradgetriebe in vertikaler Richtung. Nicht zuletzt dank des Getriebes mit der Übersetzung 1 : 4,15 konnte die Bauform des Generators kompakt gehalten werden. Auch die Turbinen weisen eine sehr kompakte Bauweise auf, wodurch sie ideale Eigenschaften für den Einbau direkt in einem Wehrkraftwerk mitbringen. „Die Turbine eignet sich im Prinzip hervorragend für Fallhöhen von 4 bis 12 m“, erklärt der Projektleiter von Andritz Hydro, Roland Malkow. Am Standort des Pfeilerkraftwerks in Oberaich liegt eine Fallhöhe von 4,3 m bei Ausbauwassermenge vor. Die Maschinen, die jeweils auf ein Schluckvermögen von 33 m3/s ausgelegt sind, drehen mit 148 Upm, wobei die Drehzahl über das Kegelradgetriebe auf 600 Upm erhöht wird. Dabei erreicht jede Turbine eine Ausbauleistung von 1.400 kW. Roland Malkow betont, dass auf der Baustelle ein lösungsfokussiertes und zielorientiertes Arbeiten in einem partnerschaftlichen Verhältnis vorherrschte. Gemeinsam mit Kollegen von Andritz Graz konnten auch pandemiebedingte Einreiserestriktionen problemlos gemeistert werden.

Verjüngungskur für die Turbinen
Die Sanierung der fünf Zwillings-Francisturbinen übernahm das bekannte Wasserkraftunternehmen EFG mit Sitz in Feldkirchen. Die Kärntner Turbinenspezialisten bewiesen bei diesem Auftrag ihr Know-how und ihre Flexibilität. Nach der Zerlegung, Reinigung, ­Sandstrahlen der Bauteile und einer zerstörungsfreien Werkstoffprüfung wurden die rundumsanierten Bauteile aus Gusseisen wieder zusammengebaut. Bei den alten Bauteilen handelt es sich um handwerkliche Meisterstücke, deren mechanische Eigenschaften keine unerheblichen Gefahren für eventuelle Bruchschäden bergen. Das heißt, dass im gesamten Arbeitsablauf eine behutsame Handhabe und Bearbeitung geboten war. Das galt natürlich auch für die Wiedermontage der 12,4 Tonnen schweren Maschinen, die mithilfe eines Krans in den Einbauschacht gehievt und dann wieder eingebaut wurden. Mit dem Ergebnis zeigt sich DI Pittino sehr zufrieden und findet lobende Worte für die Kärntner Wasserkraft-Allrounder: „EFG verfügt über sehr gut ausgebildetes Personal, sowohl in handwerklichen Belangen als auch im Engineering Bereich. Die Kärntner Turbinenspezialisten haben in den letzten Jahrzehnten ausreichend Erfahrung aus vergleichbaren Aufträgen gesammelt.“

Alte Maschinen mit gewissen Vorzügen
Grundsätzlich handelt es sich bei den fünf Zwillings-Francisturbinen um qualitativ hoch- wertige und technisch absolut ausgereifte Maschinen, wie DI Pittino bestätigt: „Die Turbinen sind alt, aber gut. Gegenüber den ersten Varianten aus 1903 hatte man in den 1930er Jahren bereits die Saugrohre optimiert, und auch die Laufräder sind für diese Drehzahl und ihr Schluckvermögen ausgezeichnet gefertigt. Ich vertrete die Meinung, dass man sie heute nicht viel besser bauen könnte.“ Dank ihrer Konstruktion und ihrer Bauart sind Zwillings-Francisturbinen prinzipiell sehr robust und langlebig. Und noch ein weiterer Punkt spricht für die Bestandstechnik: Heute werden von Seiten des Netzbetreibers erhöhte Anforderungen an die Wasserkrafttechnik gestellt. Das bedeutet, dass auch im Fall eines Spannungsabfalls die Maschinen am Netz verbleiben sollten. Und dafür ist die Masse der alten Generatoren mit Schwungradfunktion eine wesentliche Voraussetzung. Damit haben die alten Maschinen dem Großteil der neuen einiges voraus.

Produktionssteigerung um 40 Prozent
Dank eines umsichtigen Baumanagements konnten auch schwierige Projektphasen, wie etwa ein Hochwasser im November 2019, oder die Corona-bedingten Schwierigkeiten, bestens gemeistert werden. Seit wenigen Wochen sind sämtliche Gewerke und Anlagenteile im Probebetrieb und bewährten sich in den ersten Betriebswochen bereits bestens. „25 GWh lieferte bislang das alte Murinsel-Kraftwerk im Regeljahr. Dank der erfolgreichen Maschinensanierung rechnen wir mit einer Steigerung um mindestens 2 bis 3 GWh. Hinzu kommen 8 GWh aus dem Wehrkraftwerk. „Die gesamte Produktionssteigerung von etwa 10 bis 11 GWh bedeutet ein Erzeugungsplus von gut 40 Prozent“, so DI Pittino. „Es ist hier ein Werk mit sehr hohem Qualitätsmerkmal entstanden.“ Mit dem neuen Pfeilerkraftwerk und dem renovierten Murinsel-Kraftwerk hat die Stadt Bruck an der Mur erfolgreich den Schritt in die nächste Ära der langfristigen Stromerzeugung geschafft. Für die Stadt nimmt es einen hohen Stellenwert ein, immerhin dient es einerseits dem Hochwasserschutz und deckt anderseits den Strombedarf von rund einem Drittel der Haushalte.

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