Interview

„Die Individualität eines Wasserlaufs spiegelt sich in unseren Maschinen wider“9 min read

31. Jänner 2022, Lesedauer: 6 min

„Die Individualität eines Wasserlaufs spiegelt sich in unseren Maschinen wider“9 min read

Lesedauer: 6 Minuten

Seit 70 Jahren liefert der renommierte Elektromaschinenbauer AEM-Anhaltische Elektromotorenwerk Dessau GmbH Generatoren für die Kleinwasserkraft.

Seit dieser Zeit versehen die leistungsstarken Maschinen aus dem Traditionswerk in Sachsen- Anhalt ihren Dienst in Kleinkraftwerken auf der ganzen Welt. Tino Storch, seines Zeichens Geschäftsführer des Unternehmens, gewährt im Interview Einblicke in die Forschungs- und Entwicklungsstrategie und spricht über die neuen Anforderungen in der Generatortechnik. Zudem bezieht er Stellung zum aktuellen Problem der stark gestiegenen Materialpreise und verrät, wie man bei AEM die Kontrolle über die Qualität der Maschinen behält.

zek: Herr Storch, welchen Stellenwert nimmt Forschung und Entwicklung bei AEM ein?
Storch: Grundsätzlich einen großen. Allerdings muss man einräumen: Die elektrische Maschine ist 140 Jahre alt und im Wesentlichen in ihrer Entwicklung ziemlich ausgereizt. Was aber nicht heißen soll, dass es nicht Bereiche gibt, wo noch Verbesserungen möglich sind. Wir befassen uns mit dem Thema Forschung, können dies allerdings als mittelständisches Unternehmen nicht in umfassender Tiefe und Breite darstellen. Darum suchen wir bei tiefgründigeren Themen die Zusammenarbeit mit Universitäten und Forschungseinrichtungen. Firmenintern schauen wir uns schwerpunktmäßig natürlich die physikalischen Phänomene, die Energieeffizienz und die Maschinenakustik genau an. Außerdem verändern sich die Werkstoffe und mit ihnen die Verfahrens- und Fertigungstechniken. Ich würde sagen: Neue Materialien treiben die Weiterentwicklung voran.
zek: Was bedeutet das für ein System, von dem heute immer mehr erwartet wird?
Storch: Das bedeutet, dass wir in der Entwicklung heute einerseits den Fokus auf das Gesamtsystem legen und zum anderen auf das Aggregat „Generator“. Ich nenne das bewusst so, da der Generator heute oft um zusätzliche Funktionalitäten ergänzt wird und diese sinnvoll integriert und gesteuert werden müssen.
zek:  Haben Sie ein Beispiel parat?
Storch: Ja, zum Beispiel hatten wir ein Wasserkraftprojekt, wo der Generator Gleitlager bekommen hat und eine Ölumlaufschmierung umgesetzt werden musste. Konkret wurden redundante Öl-Pumpen gewünscht, und das System sollte permanent überwacht werden, ob der Ölfluss funktioniert. Zudem sollten die Pumpen abwechselnd verwendet werden. Wir haben für solche Fälle eine eigene Steuerung entwickelt, die wir individuell an die Anforderungen anpassen können. Wir bringen somit unser Generatorwissen bei der Programmierung der Logik ein. Die Umsetzung „am“ Generator ist aus unserer Sicht besser als darauf zu hoffen, dass dies in der Anlagensteuerung nach unseren Vorstellungen umgesetzt wird.
zek: In welche Richtung geht die Entwicklung am Materialsektor?
Storch: Natürlich gibt es Entwicklungen im Elektroblechbereich. Da muss man sich überlegen, in welcher Form man die einsetzen kann. Wenn ein neues Blech auf den Markt kommt, hat es eigene Spezifikationen. Das muss man in der Berechnungssoftware berücksichtigen. Ähnlich ist das bei neuen Isolationsmaterialien oder neuen Drähten. Verschließen kann man sich dem nicht. Manche Materialien kommen aus sehr gutem Grund auf den Markt. Wenn sich hier ein Zusatznutzen erschließen lässt, wäre man nicht gut beraten, darauf zu verzichten. Aber natürlich muss man da auch mit einer gewissen Vorsicht an das Thema herangehen.
zek: Inwieweit beeinflussen aktuell die Rohstoffpreise die Maschinen?
Storch: Einfach gesagt: Die Materialpreisentwicklung ist eine Katastrophe: Kupfer ist um 40 Prozent, Elektroblech um 70 Prozent, Stähle zum Teil um das Doppelte teurer geworden. Selbstredend können diese Preissteigerungen nicht einfach in eine entsprechende Materialreduktion in der Maschine münden. Das geht nicht. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Materialpreise in unsere Angebotskalkulation miteinzubeziehen. Mehr können wir da gar nicht machen.
zek: Bedeutet das auch ein Risiko für Sie als Hersteller?
Storch: Absolut, als Sondermaschinenhersteller haben wir keine Preislisten. Wir legen eine Maschine aus. Und auf dieser Basis wird das Angebot erstellt. Für uns schwingt dabei das Risiko mit, nicht zu wissen, wie sich der Materialpreis zwischen Angebotslegung und Materialbeschaffung entwickelt. Für den Kunden ist es natürlich ärgerlich, dass dadurch mittlerweile die Gesamtpreise der elektrischen Maschinen gestiegen sind.
zek: Bei Ihnen gibt es sozusagen kein Produkt von der Stange?
Storch: Ja, unsere Generatoren sind „maßgeschneiderte“ Produkte – das Gegenteil von Serienprodukten. Bei uns sind Engineering und Fertigung so aufgestellt, dass wir entsprechend der Kundenspezifikation unser Produkt herstellen. Das betrifft nicht nur die Wasserkraft, sondern auch die anderen Branchen. Technische Anforderungen nehmen wir auf une reichern sie mit unserem Fachwissen über diverse Randbedingungen noch an.  Dazu passgenau erfolgt die elektrische Auslegung, woraus dann die konstruktive Umsetzung der Maschine abgeleitet wird. Jeder Wasserlauf ist individuell und das spiegelt sich in unseren Maschinen wider. So kommt ein Unikat heraus.
zek: Wie spielen da die Netzanschlussbedingungen hinein?
Storch: Natürlich sind das Randbedingungen, die zusehends wichtiger werden. Wir haben dafür ein eigenes Modell erstellt, um berechnen und ableiten zu können, was dafür an der Konstruktion angepasst werden muss. Häufig spielen Trägheitsmoment oder magnetische Auslegung eine Rolle.
zek: Tragen Rückmeldungen von Betreibern auch zur Entwicklung bei?
Storch: Das Feedback von den Kunden ist ein wesentlicher Faktor. Schließlich liegen Theorie und Praxis manchmal doch auseinander. Daher ist man auch auf das Feedback der Kunden angewiesen. Das lassen wir auch einfließen, um uns weiter zu verbessern. Aber nicht nur das: Wir verfügen zudem über alle Prüfprotokolle von allen Maschinen, die wir in den letzten 70 Jahren gebaut haben. Im Zuge der elektrischen Auslegung können wir somit auf alte Erfahrungen zurückgreifen.
zek: Kommen aus dem Feldeinsatz – sprich Service, zusätzliche Erkenntnisse hinzu?
Storch: Der Feldeinsatz bringt gerade in der Wasserkraft regelmäßig noch neue und zusätzliche Informationen. Schließlich sind wir ja nicht immer bei Inbetriebnahmen mit dabei, das ist auch nicht immer möglich. Aber bei Service-Einsätzen lernen wir doch sehr viel von der Anlage und deren Spezifika. Das ist ein kontinuierlicher Lern- und Verbesserungsprozess, der im Grunde nie aufhört.
zek: Apropos Informationen: Wie wichtig sind Themen wie Digitalisierung und Big Data für Sie?
Storch: Alles was Konstruktion, Entwicklung und Produktion betrifft, verläuft nahezu vollständig digital. Dehnt man den Begriff weiter hin zu dem Thema „Big Data“, so wird auch das für uns zusehends interessanter. Vor einigen Jahren haben wir uns alle alten, analogen Prüfprotokolle aus den 80ern und 90er Jahren vorgenommen und damit begonnen die Rohdaten zu digitalisieren. Daraufhin haben wir mittels Software-Algorithmen Auswertungsmöglichkeiten geschaffen. Man erkennt Muster und Zusammenhänge, die wir in die eigene Software mit einfließen lassen. Letztlich hilft uns das heute bei der Auslegung der elektrischen Maschinen.
zek: Hat das auch konkrete Auswirkungen auf die Performance des Generators?
Storch: Naja, beim Wirkungsgrad geht es um Zehntelprozentpunkte. Manche unserer Maschinen haben 97,5 % Wirkungsgrad, da ist ein Zehntelsprung nur mehr schwer erreichbar. Aber dafür nutzen wir diese digitalen Daten, um unsere Berechnungssoftware zu verbessern. Zudem stellen sie die Basis für ein modernes Condition-Monitoring dar, wie wir es seit einiger Zeit bereits in den Bereichen Schiffbau und Industrieanlagen anbieten. In der Wasserkraft war es bisher noch kein so großes Thema. Aber es wird wichtiger. Wir bieten den Kunden im Hinblick auf vorausschauende, bedarfsgerechte Wartung auch ein Service-Vertragsmodell an. Grundvoraussetzung dafür ist unsere umfangreiche Datenbasis.
zek: Wie garantiert AEM seinen Kunden ein dauerhaft hohes Qualitätsniveau?
Storch: Wie vorhin erwähnt, ist jeder Wasserkraftgenerator von uns ein Unikat und damit auch seine Bauteile. Daher ist es für uns so wichtig, die volle Kontrolle über deren Qualität zu haben. Schließlich spielen bei den manchmal geforderten Durchgangsdrehzahlen Genauigkeiten und Toleranzketten eine wichtige Rolle. Unserer Erfahrung nach hat man das nur unter Kontrolle, wenn man die Teile selber fertigt. Deshalb haben wir auch immer noch so eine hohe Fertigungstiefe. Wir kaufen weder Gehäuse, Wellen, die mechanische Bearbeitung oder die Spulen ein. Wir fertigen alles hier in unserer Fertigungsstätte in Dessau selbst.  
zek: Welche Rolle spielt dabei die Lebensdauer der Lager?
Storch:  Sie spielt in der Wasserkraft eine wichtige Rolle. Es ist eine jener Stellschrauben, wo man noch drehen kann. Um das richtige Lager zu finden, gilt es die entscheidenden Einflussfaktoren zu kennen: Das sind Kraftangriffspunkte, Betriebszustände sowie die Lastverteilung. Natürlich nehmen wir diesbezüglich den Input der Anlagenbauer gerne auf. Inzwischen verfügen wir über eigene Berechnungsmethoden und haben Spezialisten für das Thema Lager ausgebildet. Die übernehmen die Auslegung der Lager, auch das überlassen wir nicht mehr den Lagerherstellern.
zek: Handelt es sich in der Regel um eine synergistische Kooperation mit dem Anlagenbauer?
Storch: Eigentlich würden wir uns wünschen, dass der Anlagenbauer uns als Generatorhersteller häufiger ins Boot holt und stärker einbindet. Am Ende sind genau das die erfolgreicheren Projekte, wenn wir auch die konstruktiven Daten der Turbinenkonstruktion erhalten. Dann können wir Analysen fürs Gesamtsystem machen und eventuell auch schon Resonanzen im Vorfeld vermeiden. Es ist von Bedeutung für die Qualität und Lebensdauer, wie gut das Gespann von Anlagenbauer und Generatorhersteller zusammenarbeitet.
zek: Langsam wird man am Markt auf die wassermantelgekühlten Generatoren aufmerksam. Wie kam es zu der Entwicklung?
Storch: Wir bauen seit über 20 Jahren wassermantelgekühlte elektrische Maschinen. Bei diesem Konzept wird das Kühlwasser direkt um den Gehäusemantel geleitet, es durchströmt den Rücken des Ständerblechpakets und führt dabei die Wärme ab. Bei unserer Konstruktion wurde eine Doppelmantelausführung gewählt, um auch die Abwärme des Läufers abführen zu können. Wir haben diese Maschinen zunächst in der Windkraft und später als Asynchronmaschinen im Schiffbau eingesetzt – nicht zuletzt, weil sie sehr kompakt und robust sind. Dabei habe ich mich schon länger gefragt, warum man das nicht auch in der Wasserkraft einsetzen könnte. Keiner konnte mir die Frage beantworten. Wir haben dann einfach einen Versuchsballon für die Wasserkraft gestartet und merken langsam, dass die Betreiber zusehends den zentralen Vorteil zu schätzen wissen: Die Maschinen haben einen sehr geringen Geräuschpegel. Außerdem ist der Wasserbedarf zum Kühlen geringer als bei einer herkömmlichen Wasserkühlung.  
zek:  Und dabei spielte aber auch das Design eine Rolle, oder?
Storch: Anfänglich gehörten die Wassermantelkühlung und das Design, das wir gemeinsam mit dem Porsche-Design Studio in Zell am See entwickelt haben, nicht zusammen. Die beiden Entwicklungsthemen verliefen bei uns parallel. Zusammengebracht hat die beiden Themen einer unserer Kunden, der sich nicht zwischen Design oder Wassermantel entscheiden wollte, sondern beides wünschte. Das war der entscheidende Anstoß. Man muss dabei auch einräumen: Es gibt heute Wasserkraftwerke, die sind architektonisch innen und außen mit viel Liebe zum Detail durchdesignt. Da steht es uns Generatorherstellern gut an, dass wir auch eine Variante auf den Markt bringen, die optisch ansprechender aussieht.
zek:  Das hören Ästheten gerne. Ich bedanke mich für das Gespräch.



 

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