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Gewachsenes Kraftwerksprojekt erfreut Tiroler Ökostromproduzenten18 min read

2. November 2016, Lesedauer: 12 min

Gewachsenes Kraftwerksprojekt erfreut Tiroler Ökostromproduzenten18 min read

Lesedauer: 12 Minuten

Für die Betreiber war die Eröffnung des Kleinwasserkraftwerks Jerzens der lang ersehnte Abschluss eines Projektes, das bereits vor rund sieben Jahren seinen Ausgang genommen hatte.

Ursprünglich von Gerd Wechselberger, einem lokalen Privatunternehmer, als sehr dezentes Kleinkraftwerk geplant, nahm das Bauvorhaben über die Jahre immer größere Ausmaße an. Am Ende sollte die Erzeugungskapazität gegenüber dem Ausgangsprojekt mehr als eine Verdoppelung erreichen. Mit den beiden modernen Maschinensätzen, bestehend aus zwei Francis-Spiral-Turbinen aus dem Hause Geppert mit zwei direkt gekoppelten Synchrongeneratoren vom Fabrikat Hitzinger – ist es heute in der Lage, jährlich rund 17 GWh sauberen Strom zu erzeugen. Damit können sämtliche Haushalte im Pitztal versorgt werden.

Der Initialfunke für das Kraftwerk Jerzens nimmt sich erstaunlich bescheiden aus: Der Pitztaler Tüftler Gerd Wechselberger hatte sich mit der Idee beschäftigt, den Brunnen hinter seinem Haus zur Energiegewinnung zu nutzen. 40 Watt Leistung – mehr waren nicht geplant. Doch die Umsetzung stellte sich schnell als wenig effizient und unrentabel heraus. Das war 2007. Doch der Mann aus Jerzens ließ sich nicht entmutigen und suchte nach anderen Möglichkeiten. Nachdem er ergebnislos einige kleinere Bachläufe im Tal untersucht hatte, kam ihm die Pitze in den Sinn, die als namensgebendes Gewässer das Pitztal durchfließt. Allerdings schien zu Anfang auch dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt. Von einigen Seiten kam ihm zu Ohren, dass der Bach nicht mehr hydroelektrisch nutzbar wäre. Der Grund: Seit 1964 wird die Pitze in ihrem Oberlauf gefasst und zum Gepatsch-Speichersee im Kaunertal geleitet. Das trifft auch auf das Wasser des Taschachbachs, dem größten Zubringer der Pitze, zu. Überdies wird die Pitze im Bereich von Wenns ein weiteres Mal gefasst, um von hier aus dem TIWAG Kraftwerk Imst zugeführt zu werden. Mit dem verbleibenden Wasser in der Pitze – so das gängige Vorurteil – wäre kein Kraftwerk mehr möglich. Oder vielleicht doch?

EIN PROJEKT DAS WÄCHST
Gerd Wechselberger war noch nicht bereit aufzugeben. Und nachdem von Behördenseite keine grundsätzlich ablehnenden Botschaften zu vernehmen waren, beschloss er gemeinsam mit einem Partner, dem Unternehmer Ing. Horst Androschin, ein Kleinwasserkraftprojekt an der Pitze auf Schiene zu bringen. Zu diesem Zweck beauftragten die beiden das Planungsbüro alpECON OEG aus Imst, das in der Folge bereits im Jänner 2011 ein naturschutz- und wasserrechtlich bewilligtes Projekt erwirkt hatte. „Als das Projekt fertig war, hat man noch einmal innegehalten. Mit weiterführenden Überlegungen kamen Erweiterungspläne hinzu – und das Projekt wuchs“, erinnert sich alpECON Geschäftsführer Ing. Werner Klinger, der das Einreichprojekt mit seinem Büro von Anfang bis Ende federführend begleitet hat. Mit der Weiterentwicklung des Kraftwerksprojektes wurden auch die Projektpartner mehr. Den beiden Privatunternehmern schlossen sich die Gemeinde Jerzens und die Stadtwerke Imst an. Letztere halten heute je 24 Prozent, während die restlichen 52 Prozent der Betreibergesellschaft auf die beiden Initiatoren aufgeteilt sind.

GEFÄLLSTUFE VERDOPPELT
Den neuen Plänen zufolge wurde das Krafthaus weiter talauswärts verlegt, während die Wasserfassung weiter nach oben „wanderte“. Die genutzte Gefällstufe wurde damit verdoppelt, die Ausbauwassermenge blieb gleich. „Technisch gesehen brachte die Erweiterung einige, wenige Änderungen mit sich. Zum Beispiel wurde nun anstelle des ursprünglich geplanten Tirolerwehrs eine Schlauchwehr-Anlage mit Seiteneinzug vorgesehen und wurde hier auf den Spezialisten für Schlauchwehranlagen, das Büro ZT Fritsch GmbH, zurückgegriffen. Von der ökologischen Seite gesehen zog das Änderungsprojekt keine großen Anpassungen nach sich“, erklärt Klinger. Das Neuprojekt wurde schließlich offiziell als Änderungsprojekt bei den Behörden eingereicht, verhandelt und genehmigt.

ZWEI PLANER – EIN ZIEL
In Anbetracht der Größe und Komplexität des Projektes holte sich alpECON einen Partner für die Einreichplanung an Bord, der viel Know-how und Erfahrung im Wasserkraftsektor einbrachte: die ZT-Fritsch GmbH aus Steyr. Werner Klinger beschreibt die Arbeitsteilung der beiden Planungspartner: „Das Büro Fritsch hat in der Einreichung die Wasserfassung geplant und trat dann, als es natürlich auch um die Frage der Mannstärke ging, in der Ausführungsphase federführend als Generalplaner auf. Zudem verfügt das Büro Fritsch über eine Statik-Abteilung und konnte auch die gesamte Bauaufsicht abwickeln. Unser Büro hat dem Büro Fritsch dann als Subunternehmer zugearbeitet.“ Als hervorragende Ergänzung konnte die alp-ECON dabei eine ihrer größten Stärken ausspielen – die Behördenverfahren, in denen man auf eine große Erfahrung verweisen kann. Die Zusammenarbeit trug Früchte. Die ZT-Fritsch GmbH gilt zurzeit nicht umsonst als eines der innovativsten Wasserbau-Ingenieurbüros im Lande. Mit einem sehr guten Gespür für hydraulische Konturen und Funktionalität hat die ZTFritsch GmbH die topografischen Gegebenheiten in der Gestaltung der Fassung und des Krafthauses optimal genutzt und eine hocheffiziente Anlage geschaffen, die sich zudem harmonisch ins Landschaftsbild einfügt.

HOCHWÄSSER ÄNDERN PLÄNE
Im Frühling 2014 wurde es ernst. Die ersten Baumaschinen rückten an, die Umsetzungsphase begann. Die Bauarbeiten wurden dabei auf zwei Lose aufgeteilt. Während AT Thurner Bau für Wasserfassung und Krafthaus verantwortlich zeichnete, war die Baufirma Fiegl mit der Verlegung der Rohrleitung betraut. Beide Baulose sollten im weiteren Bauverlauf mit Tücken und so manchem Stolperstein aufwarten. „Ursprünglich war die Errichtung des Entsanderbauwerkes orographisch rechts, im Schutze des Fangedammes, geplant. Die Pitze sollte möglichst lange in ihrem angestammten Bachbett verlaufen. In der Niederwasserzeit sollten dann Schlauchwehr und die Organismenaufstiegshilfe (FAH) unter Ableitung der Pitze durch den Entsander errichtet werden“, erklärt DI Thomas Huber, Direktor der Stadtwerke Imst. Aber es sollte anders kommen. „Wir hatten an der rechten Seite einen Fangedamm errichtet und die Aushubswände bereits mit Spritzbeton gesichert. Leider hatten wir dann am 31. Juli ein kleineres und am 13. August ein größeres Hochwasser zu bewältigen. Ist beim ersten Mal nur die Baugrube geflutet und verlandet worden, was recht rasch behoben werden konnte, so war es beim 2. Ereignis umso schlimmer. Der Fangedamm war so massiv beschädigt, dass er nicht wiederherstellbar war. Das Vertauschen der Bauphasen, Beginnen mit der Errichtung der FAH, zeigte sich als einzig sinnvoller Ausweg. Aber auch das war mit Schwierigkeiten verbunden, da wir hier an die Landestraße angrenzten. Um diese vor Setzungen zu schützen, mussten massive Sicherungs- und Unterfangungsarbeiten durchgeführt werden. Mit Fertigstellung der FAH und Wehranlage konnte die Ableitung der Pitze über diese Bauwerksteile erfolgen und das Entsandungsbauwerk umgesetzt werden.“ Die Hochwässer hatten nicht nur die Bauplanung auf den Kopf gestellt. Darüber hinaus war auch eine Bauzeitverzögerung von rund einem Monat die Folge. Schließlich waren Umplanungen erforderlich, für einen kurzen Zeitraum stand die Baustelle an der Wasserfassung still. „Die entstandenen Schäden konnten wir zum allergrößten Teil über unsere Versicherung geltend machen. Dass die so schnell geholfen hat, muss man positiv vermerken. Generell glaube ich, dass es für jeden angehenden Bauherrn wichtig ist, sich eingehend über mögliche Risiken bereits im Vorfeld Gedanken zu machen. Dann erlebt man im Ernstfall keine böse Überraschung“, gibt Thomas Huber zu denken.

DAS KONZEPT EINER „WINTERBAUSTELLE“
Gerade was die Verlegung der Druckrohrleitung sowie den Bau des Krafthauses anbelangte, wollte man kritische Bauabschnitte in die Wintermonate verlegen. Projektinitiator Gerd Wechselberger erklärt, dass dahinter gleich mehrere Gründe steckten: „Zum einen ist im Winter Niederwasserzeit, zum anderen ist zumeist auch die Standfestigkeit in der kalten Jahreszeit besser, was sich gerade bei Böschungssicherungen bemerkbar gemacht hat. Der wohl wesentlichste Punkt war aber, dass die Bauwirtschaft in alpinen Tourismusregionen wie dem Pitztal auch daran interessiert ist, im Winter Arbeit zu haben. Und gerade im Bereich des Krafthauses störten die Bauaktivitäten den Tourismus ja in keiner Weise.“ Zudem hatten sich die Verantwortlichen viele Gedanken darüber gemacht, wie man das Projekt am ökologisch verträglichsten realisiert. „Wir haben aus diesem Grund auch beim Bau der Druckrohrleitungen darauf geachtet, dass wir mehr als zwei Drittel der Trassenlänge im bestehenden Wegenetz verlegen. Dabei haben wir durchaus auch Umwege in Kauf genommen, um die Naturlandschaft nicht mehr als nötig zu belasten“, sagt Gerd Wechselberger.

TRIEBWASSER FLIESST AUCH AUFWÄRTS
Generell entpuppte sich die Verlegung der Druckrohrleitung als echte Herausforderung. Zum einen verläuft die rund 3.400 m lange Druckrohrleitung durch teils schwieriges Gelände. Zum anderen ließ es sich nicht vermeiden, sie über einen Tiefpunkt zu einem Hochpunkt zu führen. Dies bedeutet, dass eine maximale Triebwassermenge von 4 m3/s auf ihrem Weg zum Maschinenhaus eine Steigung hin zum Hochpunkt überwinden muss, der 12 m tiefer als das Fassungsbauwerk liegt. In Hinblick auf die damit verbundene Gefahr des Lufteinschlusses bzw. Lufteinzugs bei Druckschwankungen waren spezielle Maßnahmen erforderlich. „Wir haben den Druckstoß an der Universität Graz noch einmal berechnen lassen. Nach diesen Ergebnissen wurden schließlich die beiden Lüftungsventile am Hochpunkt und am Beginn des eigentlichen Kraftabstieges gesetzt, die ein hohes Maß an Sicherheit aufweisen. Auch die Firma PAM, die für die Lieferung der Gussrohre verantwortlich war, hat einen Spezialisten beigezogen, der sich ebenfalls des Themas angenommen hat. Eine weitere wichtige Maßnahme war natürlich, dass der beauftragte Turbinenlieferant, die Fa. Geppert, auf Basis dieser Berechnungen die entsprechenden Schwungmassen an den beiden Turbinen ausgelegt hat“, so Werner Klinger vom Büro alpECON.

MINUTIÖSE LOGISTIK DER ROHRLIEFERUNG
In der Frage des Druckstoßes kommt natürlich auch dem eingesetzten Rohrmaterial eine gewisse Rolle zu. Für die Verantwortlichen kam daher nichts anderes als duktiler Guss in Frage. Die Wahl fiel auf Saint-Gobain-Rohre von PAM Österreich, die ihren Sitz in Innsbruck hat. Die Hochdruckrohre von Saint-Gobain PAM sind optimal angepasst an die extrem schwierigen Installations- und Nutzungsbedingungen in Gebirgsregionen. Sie sind außen mit einer Zinkisolierung versehen und innen mit einer Zementmörtelschicht ausgeführt. Dank ihrer Materialeigenschaften können sie zuverlässig in felsigen Gebieten und stark abschüssigem Gelände installiert werden. Die hohe Zuverlässigkeit ihrer Dichtungen und Befestigungen sorgt für entsprechende Langlebigkeit bei sehr hohem Druck. „Wir haben eine minutiös gestaffelte Logistik eingeführt, die sowohl die Geländevorgaben – wenig Platz, hohe Abschüssigkeit – als auch zeitliche Vorgaben berücksichtigten. So konnten wir die Aufnahme der Lieferung der 3.400 Linearmeter DN1400 Rohre ab Anfang Juli 2014 zusichern“, so Albert Möltner, Generaldirektor von Saint-Gobain Gussrohrvertrieb, Österreich. „Mit Guss haben wir sicher die richtige Materialwahl getroffen“, sagt Gerd Wechselberger und ergänzt: „Auch wenn das Handling nicht ganz einfach war. Wir hatten Stücklängen von 8 m mit einem Gewicht von 5,5 Tonnen, was bei cm-genauer Verlegung einiges an Kraftaufwand und enormes Fingerspitzengefühl erforderte. “

RÜCKANKERUNG FÜR ROHRLEITUNG VONNÖTEN
Eine saubere Verlegung ist die Voraussetzung dafür, dass man die Rohre in der Muffenverbindung bis zu 3 Grad abwinkeln kann. Das bedeutet, dass man damit Richtungsänderungen ohne Formstücke vornehmen kann. Kein unwesentlicher Faktor bei einer Rohrleitung von 3,4 km Länge. Schließlich stellen Sonderformstücke immer einen erhöhten Kostenaufwand dar. Als Herausforderung entpuppte sich der letzte Trassenabschnitt, der steile Einmündungsbereich hin zum Krafthaus. Klinger: „In diesem Bereich war ein massiver Geländeeinschnitt vonnöten. Die Verhältnisse waren heikel, sodass in den kritischen Phasen ein Geologe beigezogen wurde. Die Rückwand wurde im oberen Abschnitt mit bis zu 7 m tiefen Ankern und Spritzbeton gesichert. Unterhalb war massiver Fels anstehend, welcher zwar aufwändigst zu entfernen, aber hinsichtlich Standfestigkeit und Einleitung von Kräften wiederum von Vorteil ist.“ „Am Übergang von der flachen Böschung zur Steilböschung beim Krafthaus ergibt sich ein nach außen gerichteter Bogen in der Druckrohrleitung. Bei der Durchströmung mit 4 m3/s – das bedeutet, dass rund 5.200m3 Wasser mit bis zu 2,6 Meter pro Sekunde in der Rohrleitung in Bewegung sind – ergeben sich in diesem Punkt massive Schubkräfte, welche durch verankerte Schwerlastfundamente abgearbeitet werden müssen. Man muss sich die Belastung auf Rohrleitung und Rohrbögen vorstellen, wenn 5200 Tonnen Wasser bei einer Abschaltung der Turbinen von den Absperrklappen auf null gebremst werden“, ergänzt Thomas Huber. Zu sehen ist von den umfangreichen Arbeiten am Krafthaushang allerdings nicht mehr viel, die Rekultivierungen und Begrünungen haben die Spuren dieses Geländeeingriffs bereits fast zur Gänze getilgt.

HEIKLE DRUCKPRÜFUNG
Im April 2015 konnte Fiegl Bau den Abschluss der Rohrverlegung vermelden. Wenig später folgte die Druckprüfung. Diese hatte bei den verantwortlichen Planern im Vorfeld für etwas Nervosität gesorgt, da die Prüfung umfangreiche sicherheitstechnische Überlegungen voraussetzte. „Bedingt durch die Dimension der Leitung, den Druck und vor allem den Verlauf, der zum Teil oberhalb einer Straße und einmal auch oberhalb einer Siedlung führt, war bei einem Bruch ein Gefährdungspotenzial gegeben. Zum Glück und natürlich dank der guten Arbeit der Verlegemannschaft hat alles perfekt geklappt“, erzählt Werner Klinger. Mitte Mai dieses Jahres war mit dem Abschluss der Druckprüfung der Kraftabstieg fertiggestellt.

SCHLAUCHWEHR BEHAUPTET SICH
Die zweite große bauliche Herausforderung betraf die Wasserfassung. Diese wurde vom Büro ZT-Fritsch GmbH geplant, das seine große Erfahrung bei der Errichtung einer Schlauchwehr-Anlage im alpinen Raum einbringen konnte. Konkret wurde ein Schlauchwehr mit einer Länge von 12,00 m installiert, die im gefüllten Zustand eine Höhe von 1,70 m erreicht. Vor allem in Hinblick auf das Geschiebemanagement an der Pitze stellt die Hydroconstruct-Schlauchwehr eine nahezu ideale Lösung dar. Hinzu kommt, dass die einfache Regulierbarkeit den Gegebenheiten im Pitztal entgegenkommt. Gerd Wechselberger: „Im Pitztal ist praktisch noch keine Ringleitung vorhanden. Fällt der Strom im vorderen Pitztal aus, dann muss gewährleistet sein, dass das Schlauchwehr auch ohne Strom funktioniert. Das ist eben ein großer Vorteil dieses Systems.“ Der Oberwasserspiegel wird über ein Wechselspiel von Füllpumpe und Entleerpumpe automatisch geregelt. Als Sicherheit verfügt das Schlauchwehr über eine mechanische Einrichtung: Im Entleerungsschacht befindet sich ein leeres Gefäß, das sich ab einem gewissen Überstau im Pumpenschacht zu füllen beginnt. Allein durch die Schwerkraft öffnet das schwerer werdende Gefäß die Entleerungsklappe. Die klassische Wasserfassung mit Seiteneinlauf hat sich durch die Schlauchwehrtechnik auch in hochalpinen, stark geschiebeführenden Flussläufen durchgesetzt, wobei hier die Hydroconstruct GesmbH aus Steyr in Oberösterreich, mit der Technologie des wassergefüllten Wehres und nunmehr bereits 8 in Betrieb befindlichen Anlagen in Tirol eine Vorreiterrolle übernommen hat.

STAHLWASSERBAU – SOLIDE REALISIERT
Großer Wert wurde von den Bauherrn auch auf die stahlwasserbauliche Ausrüstung gelegt. Im Bewusstsein, dass es sich um ein Langzeitprojekt handelt, haben sich die Verantwortlichen für robuste langlebige und zugleich innovative Lösungen entschieden. Der Auftrag ging an den Salzburger Stahlbau- und Stahlwasserbau-Spezialisten GMT mit Sitz in Kuchl. GMT steuerte diverse Schützen mit zugehörigen Antrieben, den Grob- sowie den Feinrechen und die Teleskop-Rechenreinigungsmaschine bei. Letztere zeichnen sich durch eine geräuscharme und umweltfreundliche Arbeitsweise aus. Die Stahlwasserbau-Konstruktionen von GMT haben sich den Ruf erworben, Vorteile durch kostengünstige Wartung und geringen Verschleiß zu bieten. „Auch die Termintreue der Firma GMT hat uns überzeugt. So konnte jedes Rädchen optimal ineinander greifen“, meint Werner Klinger. Wesentlicher Bestandteil der Wasserfassung ist der großzügig ausgeführte Doppelkammer-Entsander mit einer Gesamtlänge von 25 m und einer Breite von 8,2 m. Er wurde so ausgeführt, dass eine Kammer die komplette Triebwassermenge aufnehmen – und somit auch während eines Spülvorgangs der Kraftwerksbetrieb aufrecht bleiben kann.

TURBINEN IN 2/3 ZU 1/3 ANORDNUNG
Was die elektromaschinelle Ausrüstung des Kraftwerks anbelangt, so gingen die Überlegungen zu Beginn noch auseinander. Hatte man ursprünglich die Kombination von einer größeren Francis- mit einer kleineren Pelton- Turbine im Sinn, so fiel letztlich die Wahl auf zwei Francis-Turbinen. Aufgrund des jahreszeitlich bedingten stark schwankenden Wasserdargebots in der Pitze bot sich die klassische „Ein-Drittel-zu-zwei-Drittel-Aufteilung“ an – dementsprechend die Auslegung der beiden Maschinen. „Im Sommer schwillt die Pitze durch die Schnee- Gletscherschmelze zu einem tosenden Gebirgsbach an. Daher ist die Wasserführung selbst in niederschlagsarmen Jahren in den Sommermonaten am höchsten. Bereits im Spätherbst kann es zu einer Vereisung der Wasserläufe bis hin zur Grundeisbildung kommen. Das Minimum der Wasserführung ist üblicher Weise in den Monaten Februar oder März gegeben. Wir rechnen damit, dass es manchmal auch zu Stillstandstagen in den Niederwasserphasen kommen kann“, so der Imster Planer.

SCHUTZ GEGEN GLETSCHERSCHLIFF
Im Zuge der Ausschreibungen der elektromaschinellen Einrichtung konnte sich die Firma Geppert, das Traditionsunternehmen aus Hall i. Tirol, durchsetzen. Geliefert und montiert wurden zwei horizontale Francis-Turbinen in nahezu identischer Bauweise, die auf 1.400 l/s bzw. auf 2.600 l/s ausgelegt sind. Was die Turbinen dabei besonders auszeichnet, dass sie in einer 2-Lageranordnung konzipiert wurden. Das bedeutet, dass das Francis-Laufrad fliegend auf der Generatorwelle mittels Ölpressverband montiert ist. Vorteile dieser Verbindung sind die erhöhte Rundlaufgenauigkeit und die hervorragenden Montagefreundlichkeit. Die Abdichtung zwischen Welle und Gehäuse erfolgt mittels berührungsloser Labyrinthdichtung. Bei der Ausführung der Turbinen wurde zudem dem hohen Feinstoffanteil in der Pitze, die schließlich Gletscherschliff führt, Rechnung getragen. Um die Standzeit zu erhöhen, wurden die hydraulischen Flächen von Laufrad, aber auch der Leitschaufeln mit Wolframcarbid beschichtet. Auch die Deckel und Spaltflächen wurden mit dieser Schutzschicht überzogen. Die beiden Francis-Turbinen bestechen durch hohe Wirkungsgrade. Dank eines hochmodernen Designs, das erst in den letzten Jahren verfeinert und weiterentwickelt wurde, erreichen die Francis-Turbinen aus dem Hause Geppert höchste Effizienz. Während die kleinere Turbine auf eine Leistung von 1.673 kW ausgelegt ist, beträgt die Ausbauleistung der größeren Turbine 2 immerhin 3.357 kW. Die Engpasseistung wird mit 4,14 MW angegeben.

HOHE VERFÜGBARKEIT DURCH HOHE GENERATOREN-QUALITÄT
Höchste Verfügbarkeit garantieren auch die gewählten Generatoren. Die Verantwortlichen setzten dabei auf die Qualität der Firma Hitzinger, dem bekannten Traditionshersteller aus Linz. Während Maschine 1 auf eine Nennscheinleistung von 2.000 kVA ausgelegt ist, beträgt jene des größeren Generators immerhin 3.800 kVA. Damit stammt er aus der Baureihe der „großen Generatoren“, die Hitzinger seit einigen Jahren für die Wasserkraft entwickelt. Der Sprung von den kleineren Maschinen hin zu jenen zwischen 2 MVA und 4 MVA stellte dabei durchaus eine Herausforderung für die Ingenieure des Branchenspezialisten dar. Schließlich steigen die Anforderungen und Belastungen in diesen Größenordnungen mit dem Gewicht nur in den seltensten Fällen linear an. Parameter wie Schwingungen, Drehzahlfestigkeit mussten modifiziert und diverse Lagerberechnungen angestellt werden. Dabei bringen die Generatoren der großen Baureihe heute dieselben Qualitätsmerkmale mit, welche die kleineren Wasserkraftgeneratoren bereits seit Generationen auszeichnen: Hohe Lebensdauer, Robustheit, Laufruhe und höchste Effizienz. Die beiden Wellen im Kraftwerk Jerzens laufen auf Gleitlagern. Diese sind wassergekühlt und über externe Ölkreisläufe geschmiert. Das garantiert hohe Reserven im Hinblick auf die Temperaturentwicklung unter Volllast.

GEMEINSAM MIT ANRAINERN
Ein wesentliches Anliegen für Gerd Wechselberger und seine Partner war es, die betroffene Bevölkerung, respektive die Anrainer möglichst eng in das Projekt einzubeziehen. „Bei den Grundstückskäufen und den Dienstbarkeitsrechten ist man uns sehr entgegengekommen. Für uns war es daher auch Ehrensache, die Anrainer bestmöglich zu informieren und am Entstehungsprozess teilhaben zu lassen“, so der Projektinitiator. „Für die Anrainer war es alles andere als einfach, für ein Jahr diese Baustelle vor der Haustüre zu haben. Daher haben wir sie regelmäßig informiert, sie zu exklusiven Baustellenführungen eingeladen. Sie sollten einfach wissen, was hier gebaut wird und welche weiteren Schritte folgen.“ Das erklärte Ziel lautete, dass sich auch die heimische Bevölkerung mit dem Kraftwerksprojekt identifizieren sollte. Für die Projektverantwortlichen war dies letztlich ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg.

ÖKOLOGISCHES MUSTER-PROJEKT
Ein anderer lag in der möglichst hohen ökologischen Verträglichkeit der Projektumsetzung. Als markantes Beispiel steht dafür ein „Findling“ in der Größe eines Kleinwagens, der im Bereich der Wasserfassung in fast allen Bauphasen im Weg war. Trotzdem wurde er nicht angerührt, nicht von seinem Platz verhoben. Er ist heute in das Gesamtensemble Wasserfassung integriert – mit seiner ursprünglichen, standortspezifischen Vegetation. Der äußerst schonende Umgang mit der Ressource Natur konnte in produktiven Gesprächen mit den Sachverständigen schon im Vorfeld verdeutlicht werden. Auch im Betrieb wird die Umweltverträglichkeit groß geschrieben. Das Kraftwerk ist den jüngsten Vorgaben der WRRL angepasst. „Für jeden Monat gibt es einen unterschiedlichen Mindestrestwassersockel, wodurch das natürliche Abflußverhalten nachgebildet wird. Zudem dürfen maximal 50 % des ankommenden Wasser für die Energieerzeugung genutzt werden. Oberste Priorität beim Abfluss des Restwassers hat die FAH welche konstant mit 250 l/s beschickt werden muss. Um das Ganze steuerungstechnisch richtig abbilden zu können wurde bachaufwärts eine Radarpegelmesstelle installiert. Das Funktionierendieser Messung ist entscheidend für das Funktionieren des Restwassermanagements“, so Thomas Huber.

PARTNER ZIEHEN AN EINEM STRANG
Gerade im Hinblick auf die wichtige Erfahrung in Bau und Betrieb von Kraftwerken war die Einbeziehung der Stadtwerke Imst ein besonders wichtiger Schachzug der Projektinitiatoren. „Die Stadtwerke Imst haben uns zudem mit ihrem Know-how in verwaltungstechnischen und gesellschaftsrechtlichen Fragen überzeugt“, sagt Gerd Wechselberger. Den Beweis seiner Kompetenz lieferte das Team von DI Thomas Huber nicht zuletzt im Zuge der erbrachten Eigenleistungen. So wurde etwa die Verlegung des 25 kV-Kabels über 4 km bis nach Jerzens von den Stadtwerken Imst übernommen, ebenso wie die Installation und IBS der Mittelspannungsanlage. Auch die Einbindung in die übergordnete Leittechnik der Stadtwerke Imst wurde von den Imstern selbst realisiert. Für die Betreuung des Kraftwerks im Betrieb ist Gerd Wechselberger verantwortlich, der in unmittelbarer Nähe zum Kraftwerk zuhause ist, in zweiter Instanz dann die Stadtwerke Imst.

STROM FÜR DAS PITZTAL
Einen Meilenstein erreichte das Projekt am 9. Juni 2015, als die Maschinen erstmalig Strom aus der Kraft der Pitze erzeugten. An den ersten drei Tagen lieferte die Anlage gleich 300.000 kWh. Mittlerweile ist der Probebetrieb abgeschlossen und das Kraftwerk in den Regelbetrieb überführt. Grund genug, dass die Betreiber die Eröffnung der Anlage am 27. September gebührlich feierten. Für Stromversorger wie die Stadtwerke Imst kommt einer Anlage wie dem KW Jerzens ganz besondere Bedeutung zu. Schließlich steigen in diesem Kraftwerk die Produktionszahlen in den Sommermonaten an, während in den meisten Anlagen des EVU in dieser Zeit die Stromerträge bereits zurückgehen – dem Gletscherwasser sei Dank. Insgesamt wird das neue Kraftwerk im Regeljahr rund 17 GWh sauberen Strom ans Netz liefern. Dieser Wert entspricht in etwa dem Verbrauch aller Haushalte im Pitztal. Allein daran lässt sich ermessen, wie hoch die Hartnäckigkeit des Projektinitiators einzuschätzen ist.

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