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Künz stößt beim Neubau von Wehranlage Jettenbach in neue Größendimension vor6 min read

21. Juni 2021, Lesedauer: 4 min

Künz stößt beim Neubau von Wehranlage Jettenbach in neue Größendimension vor6 min read

Lesedauer: 4 Minuten

Mit einem Investitionsvolumen von rund 250 Millionen Euro ist die Erneuerung des Innkraftwerks Jettenbach-Töging in Oberbayern das größte Wasserkraftprojekt Deutschlands.

Bei dem Projekt der VERBUND Innkraftwerke GmbH werden die Wehranlage in Jettenbach sowie das Maschinenhaus in Töging neu errichtet. Zusätzlich wird die bestehende Betondichtung des 20 km langen Innkanals der zwischen 1919 bis 1924 gebauten Anlage nach oben hin verlängert. Beim Neubau der knapp 120 m breiten Wehranlage sorgt der west­österreichische Stahlwasserbauspezialist Künz GmbH unter anderem für die Ausführung von insgesamt vier Drehsegmenten mit aufgesetzten Klappen. Die Lieferung der jeweils 26 m breiten und 9 m hohen Stahlkolosse stellt für die Vor­arlberger hinsichtlich der Größendimensionen eine neue Rekordmarke dar. Der Einbau des ersten, insgesamt rund 104 t schweren Drehsegments ging im Juli 2020 erfolgreich über die Bühne. Die Inbetriebnahme des erneuerten Großkraftwerks mit einer Erzeugungssteigerung von rund 25 Prozent ist für 2022 geplant.

Bei der Fertigstellung im Jahr 1924 war die Anlage Jettenbach-Töging in Oberbayern das erste Wasserkraftwerk am Inn. Ursprünglich wurde diese gebaut, um den Strombedarf eines Aluminiumwerks in Töging zu decken. Zum Aufstauen des Inns wurde in Jettenbach eine 6-feldrige Wehr­anlage errichtet, von welcher über den 20 km langen Innkanal bis zu 340 m³/s Ausbauwas­sermenge zum Kraftwerk nach Töging geführt wurden. Damit konnten im Maschinenhaus insgesamt 15 Francis-Turbinen an­getrieben werden, die unter Volllast eine gemeinsame Engpassleistung von 85,3 MW erreichten. Bei einer 2003 durchgeführten Sanierung des Inn­kanals wurde festgestellt, dass sich dessen Durchflusskapazität vergrößert hatte und somit während der Sommermonate eine Erhöhung der Stromproduktion möglich wäre. „Im Interesse einer bestmöglichen Nutzung des bestehenden Kraftwerksstandortes und der Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energie in Bayern haben sich der Freistaat Bayern und die VERBUND Innkraftwerke GmbH geeinigt, eine Revitalisierung des Wasserkraftwerks Jettenbach-Töging im Wege einer Erweiterung und Effizienzsteigerung umzusetzen“, heißt es in einer VERBUND-Projektbeschreibung. 2015 wurde die geplante Kraftwerkserweiterung, deren zentraler Parameter eine Erhöhung der Ausbauwassermenge auf 410 m³/s darstellte, beim Landratsamt Mühldorf eingereicht. Der positive Baubescheid wurde der Betreibergesellschaft im Juli des Vorjahres vom Mühldorfer Landrat Georg Huber persönlich überreicht.

Neue Rekordmarke für Künz
Um die um 70 m³/s erhöhte Ausbauwassermenge möglichst effizient für die Stromgewinnung nutzen zu können, wird das ­Traditionskraftwerk grundlegend erneuert. Im neuen Maschinenhaus, das direkt neben dem unter Denkmalschutz stehenden Altkraftwerk optisch unauffällig in eine be­-i stehende Hang­­lage integriert wird, kommen zukünftig drei Kaplan-­Turbinen zum Einsatz. Zudem wird die bestehende Dichtung des Innkanals an die neuen Verhältnisse angepasst. Eine weitere zentrale Maßnahme besteht darin, die Wehranlage rund 50 m fluss­abwärts vom alten Standort neu zu errich­ten und das Stauziel um 70 cm zu erhöhen. Anstelle von vormals sechs Wehrfeldern wird das neue Querbauwerk im Inn nun mit vier Wehrfeldern realisiert. Die Umsetzung der gesamten Hoch- und Tiefbauarbeiten erfolgt durch die Firma PORR und die Unternehmensgruppe Gebrüder Haider. Den Zuschlag zur Ausführung der wesentlichen hydromechanischen Komponenten an der Wehranlage erhielt im Zuge der Ausschreibung der international renommierte Stahl­was­serbauspezialist Künz GmbH. Im Interview mit zek HYDRO weist Künz-Projektleiter Jürgen Feuerstein darauf hin, dass die Vorarlberger mit dem Auftrag in eine neue Größendimension vorstoßen: „Für den VERBUND haben wir in der Vergangenheit schon eine ganze Reihe von Anlagen mit unseren Lösungen ausgestattet. Der Auftrag für die Wehr­anlage Jettenbach stellt bei einer Wehrfeldbreite von je 26 m und einer Höhe von 9 m die Lieferung unserer bislang größten Wehr­verschlüsse dar.“ Feuerstein führt weiter aus, dass an den Lagerungen der als Drehsegmente mit auf­gesetzten Klappen ausgeführten Bauteile ­beachtliche Kräfte entstehen. Die radialen Kräfte, die durch den Wasserdruck auf die beiderseitig positionierten Lager einwirken und von diesen in das Bauwerk abgegeben werden, betragen ca. 6.700 kN pro Lager, in axialer Richtung sind es ca. 1.600 kN pro ­Lager.

Drehsegmente geteilt gefertigt
Zur Optimierung der Wehr-Förderfähigkeit und des Spülvermögens der Anlage wurden vom VERBUND gemeinsam mit der TU Graz Untersuchungen an einem maßstabsgetreuen Modell der Wehranlage durchgeführt. Die Ergebnisse des Modellversuchs bildeten für Künz die Basis zur Konstruktion des ersten Drehsegments, dessen Engineering und Herstellung rund zwölf Monate in Anspruch nahmen. „Eine zentrale Herausforderung bei der Konstruktion der vier jeweils identischen Drehsegmente liegt in der Bauteilbreite. Damit die Stahlteile vom Künz-Fertigungsbetrieb in der Slowakei nach Oberbayern transportfähig bleiben, können diese aufgrund limitierter Straßenbreiten nur in längsgeteilter Ausführung hergestellt werden“, erklärt Feuerstein. Nachdem schon im Frühjahr die Lagerungen und Armierungen am Wehrfeld 4 installiert wurden, konnte im Juli schließlich die Montage des werksseitig zur Probe zusammengebauten und exakt vermessenen ersten Drehsegments erfolgen. Der Zusammenbau des 26 m breiten und 4,8 m hohen Unterteils und des 21 m breiten und 4,7 m hohen Oberteils vor Ort wurde mittels Schraubverbindungen hergestellt. Das in Millimeterarbeit durchgeführte Einheben der Bauteile konnte mithilfe des Wehrkrans erfolgreich bewerkstelligt werden. Die Endmontage des ersten Wehrverschlusses auf der Baustelle nahm rund vier Wochen in Anspruch.

Luftsprudelanlage verhindert Eisbildung
Neben der Fertigung der im Endzustand jeweils rund 104 t schweren Drehsegmente beinhaltet der Künz-Projektumfang zudem die Lieferung der dazugehörigen Hydraulik­aggregate sowie die Herstellung der entsprechenden Verrohrungen. Hinsichtlich der Optimierung von Revisionseinsätzen an der Wehranlage weist Feuerstein darauf hin, dass in Absprache mit dem Planer eine sehr praktikable Lösung erarbeitet wurde. Um die Erreichbarkeit der Segmente auch während des laufenden Anlagenbetriebs zu ermöglichen, wurden in den Mittelpfeilern der Wehranlage für das Wartungspersonal begehbare Schächte an­gelegt. Innerhalb der Drehsegmente befinden sich Luftsprudelanlagen, die eine un­erwün­schte Eisbildung verhindern. Diese Luft­sprudelanlagen bestehen aus Edel­stahl-Verrohrungen mit im Abstand von 0,9 m platzierten Luftperldüsen, die direkt in die Stauhaut integriert werden. Mittels Kompressoren wird während der Wintermonate Druck­luft in das Rohrsystem geleitet. Die damit einhergehende Blasenbildung beim Ausströmen unterbindet somit die Entstehung von Eis am Wehrkörper. Damit das von der Wehranlage in den Unterwasserbereich strömende Wasser keine Auskolkungen im Gewässerbett oder Schäden am Bauwerk verursacht, werden direkt unterhalb der Wehr­körper vier Tosbecken errichtet. In den Tosbecken werden als zusätzlicher Schutz quaderförmige Störkörper aus Beton platziert. An den Störkörpern, den Wehrhöckern sowie der Gegenschwelle am Ende des Tosbeckens brachte Künz bereits im Frühjahr die 25 mm starken Stahlblech-Panzerungen auf.

Kraftwerks-Inbetriebnahme 2022
Jürgen Feuerstein zeigt sich mit dem bisherigen Projektverlauf durchwegs zufrieden: „Die gesamte Bauabwicklung ist bisher sehr positiv verlaufen und wir haben den ersten Wehrverschluss termingerecht in Betrieb genommen. Trotz des Ausbruchs der Corona-Krise, der sich auch auf den geplanten Bauablauf ausgewirkt hat, konnte das Projekt unter Berücksichtigung der obligaten Schutzmaßnahmen fortgesetzt werden. Dank der guten Zusammenarbeit mit dem VERBUND und den Bauunternehmen konnte die Umleitung des Inn durch das neue Wehrfeld wie geplant umgesetzt werden.“ Indes schreiten die Bauarbeiten am aktuell größten Wasserkraftprojekt der Bundesrepublik Deutsch­land weiter zügig voran. Der Einbau der beiden Drehsegmente für die Wehrfelder 1 und 2 ist für den November 2021 vorgesehen, die Fertigung der Bauteile beginnt im kommenden Frühjahr. Die Inbetriebnahme des neuen Kraftwerks Töging, dessen Engpassleistung um rund 28 Prozent auf insgesamt 117,7 MW gesteigert wird, soll 2022 erfolgen. Zukünftig wird die rundum erneuerte Anlage jährlich rund 700 GWh Ökostrom erzeugen können.

 

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