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Mittersill zieht doppelten Nutzen aus dem eigenen Trinkwasser11 min read

14. Feber 2022, Lesedauer: 7 min

Mittersill zieht doppelten Nutzen aus dem eigenen Trinkwasser11 min read

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Die Sanierung der Trinkwasserleitungen war in der Stadtgemeinde Mittersill unumgänglich geworden. Die alten Transportleitungen sollten komplett erneuert …

… und durch vier duktile Gussrohrsysteme der Tiroler Rohre GmbH (TRM) ersetzt werden. Zudem wurden zwei neue Trinkwasserturbinen installiert, die im Jahr rund 1,45 GWh sauberen Strom liefern werden. Damit steuern die beiden Ökostromanlagen auch einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaftlichkeit des umfassenden Sanierungsprojekts bei.

Eingebettet zwischen dem Nationalpark Hohe Tauern und den Kitzbüheler Alpen ist die Stadtgemeinde Mittersill heute der Zentralort und mit rund 5.500 Einwohner auch der größte Ort des Salzburger Oberpinzgaus, der sich dennoch den Charme eines Bergstädtchens erhalten konnte. Er steht in dem Ruf eines – sommers wie winters – sehr beliebten Urlaubsortes. Mittersill zählt auch zu jenen glücklichen Gemeinden des Alpenraums, die über ausreichend Trinkwasser für ihre Bewohner, ihre Gäste und ihre Unternehmen verfügen. Rund 1.200 m3 hochwertiges Trinkwasser stehen dafür in drei zentralen Hochbehältern tagtäglich bereit. Der größte Wasserversorger ist die Stadtgemeinde, wobei einige der Großbetriebe auf eigene Nutzwasserquellen zurückgreifen können. Das Rückgrat der stadteigenen Trinkwasserversorgung bilden die westlich des Felbertals gefassten Quellen, die rund 800 m3 in den Hochbehälter Bürgerwald einspeisen. Es handelt sich dabei um die vier Quellen Hocheckquellen, Marchkendlquelle, Reiterbergquellen sowie die Lachalmquellen, wobei letztgenannte den Löwenanteil des Trinkwassers liefern. Gemeinsam mit den östlich des Felbertals gefassten Quellen wird das zentrale Ortsnetz angespeist.

Langer Weg bis zur Umsetzung
Die ältesten Rohrleitungen auf der Westseite des Felbertals stammten aus den frühen 1960er Jahren. Stahlleitungen, die mittlerweile ihre technische Lebensdauer erreicht hatten, wie der Bauhofleiter der Stadtgemeinde, Wolfgang Kogler, bestätigt: „Die Rohre sind alle über 50 Jahre alt gewesen und mussten in den letzten Jahren schon hin und wieder repariert werden. Der Austausch war hoch an der Zeit.“ Das war keine ganz neue Erkenntnis. Bereits im Jahr 2008 hatte die Gemeinde ein entsprechendes Sanierungsprojekt erarbeitet. 2014 sollte die Umsetzung erfolgen, doch der damals extrem niedrige Energiepreis ließ eine wirtschaftliche Darstellung der im Gesamtprojekt mit eingeplanten Trinkwasserkraftwerke nicht zu. Grund genug für die Stadtväter, das Projekt noch für ein paar Jahre hintanzustellen. Einen neuen Anlauf startetet man im Jahr 2016, wobei nach der Einigung mit allen Grundbesitzern ein erneuter Gemeindebeschluss 2018 den Weg für das Projekt endgültig ebnen sollte. 2019 wurde nach Zusage der Ökostromförderung mit den Vorarbeiten begonnen und im Mai 2020 wurde für die planerische Umsetzung schließlich das renommierte Planungsbüro Patscheider & Partner vom Tiroler Firmenstandort Schwaz beauftragt. Die Realisierung des umfangreichen Projektes konnte Fahrt aufnehmen.

12 Kilometer neue Rohrleitungen
Während die Quellfassungen noch relativ neu waren – sie wurden erst vor wenigen Jahren auf den neuesten Stand gebracht –, mussten drei der vier Quellsammelschächte erneuert werden. Den größten Brocken des Sanierungsprojekts stellte allerdings die Neuerrichtung der vier Rohrleitungen dar. „Für die Gemeinde war wichtig, dass jede der Quellen redundant nutzbar bleibt. Damit war auch klar, dass die Rohrleitungen einzeln, über vier separate Stränge zum Hochbehälter Bürgerwald geführt werden“, erklärt dazu der verantwortliche Planungsingenieur von Patscheider & Partner, Dipl.­-Ing. Mathias Hochschwarzer. Allerdings sollten die vier Rohrleitungen ab dem Punkt, wo sie zusammentreffen, in einer gemeinsamen Künette bis zum Kraftwerk verlegt werden. Summiert man die Längen der einzelnen Leitungen, die es neu zu verlegen galt, kommt man auf die beachtliche Gesamt- länge von ca. 12 Kilometer. Aufgrund der unterschiedlichen Schüttungen der vier Quellen und der abwechslungsreichen Topographie des Geländes kam eine ganze Reihe unterschiedlicher Rohrvarianten zum Einsatz. Allen gemein war nur, dass es sich um duktile Gussrohre des Haller Rohrspezialisten der Tiroler Rohre GmbH (TRM) handelte. Mathias Hochschwarzer: „Wir haben hier wirklich viele unterschiedliche Rohrtypen – Standardrohre und ebenso welche mit höherer Wanddickenklasse und somit für höhere Druckstufen geeignet – verlegt. Zudem kamen neben jenen Rohren mit der Standardaußenbeschichtung Pur Longlife auch zementummantelte Rohre, also mit ZMU-Austria Beschichtung, die sich besonders gut für die Verlegung in exponierten Gebirgstrassen eignen, zum Einsatz. Die Dimensionen der Rohrleitungen reichen von  DN100, über DN125 bis DN200. Alle vier Leitungen wurden mit schub- und zuggesicherten Verbindungen VRS-T ausgeführt.“

Eine nachhaltige Lösung
Dass man sich in Mittersill für die widerstandsfähigen Gussrohre von TRM entschied, hatte gleich mehrere Gründe. Zum einen stand natürlich die Langlebigkeit und Beständigkeit der Gussrohre mit der bewährten Schub- und Zugsicherung im Vordergrund, wodurch eine sichere Trinkwasserversorgung über Jahrzehnte gewährleistet ist. Die Innenauskleidung aus trinkwasserechtem Zement schützt das wertvolle Gut Trinkwasser, es bleibt in den Rohren so, wie es aus den Quellen kommt. Zum anderen spielte auch das Thema Nachhaltigkeit eine Rolle für die Gemeinde. Die duktilen Gussrohre von TRM werden zur Gänze aus recyceltem Metall hergestellt und weisen einen sehr niedrigen ökologischen Fußabdruck auf. Dazu trägt einerseits eine Produktion bei, die zum Großteil auf erneuerbaren Energiequellen beruht, und zum anderen die Tatsache, dass es sich um ein regionales Erzeugnis handelt. Die Lieferwege sind kurz: Gerade der Rohrtransport vom Werk in Hall in den an Tirol grenzenden Oberpinzgau ist ein sehr kurzer. Außerdem – so führen die Vertreter der Baufirmen an – bietet das duktile Gussrohr von TRM auch eine hervorragende Anpassung an das Gelände dank der Abwinkelbarkeit in den Rohrmuffen. „Wir haben mit dieser Wahl eine gute Entscheidung getroffen“, ist Wolfgang Kogler überzeugt.

Faktor Lokale Wertschöpfung
Ein wichtiger Aspekt bei der Auftragsvergabe war für die Gemeinde nach Aussage von Wolfgang Kogler, dass man nach Möglichkeit die lokale Wertschöpfungskette stärken wollte. Ganz besonders traf dies auf die beiden beauftragten Bauunternehmen zu, die in der näheren Umgebung beheimatet sind. „Die beiden Baufirmen Empl Bau aus Mittersill und HV Bau aus Bramberg sind beide aus dem Pinzgau, haben jahrzehntelange Erfahrung und kennen natürlich unsere Berge, die Topographie und die Geologie hier vor Ort ganz genau. Im Nachhinein betrachtet war das ein entscheidender Vorteil“, erklärt Bauhofleiter Kogler. Die Baumeisterarbeiten wurden gemeinsam vergeben, Empl Bau und HV Bau bildeten dafür eine Arbeitsgemeinschaft. Während Empl Bau den Neubau des Krafthauses und die Rohrverlegung im unteren Streckenabschnitt über rund 1,6 km Länge übernahm, wurde HV Bau mit dem oberen Teil der Rohreitungen beauftragt. Die Quellsammelstuben, die als Fertigteile in Edelstahl gefertigt wurden, und der Anlagenbau im Krafthaus, also die Verrohrungen und Schlosserarbeiten, wurden von der Firma Harasser aus Saalfelden realisiert. Im Hinblick auf die Projektumsetzung waren die beiden Baufirmen vor nicht unerhebliche Herausforderungen gestellt. „Grundsätzlich war einmal die zentrale Herausforderung der enge Zeitplan. Der Baustart erfolge im Februar dieses Jahres. Das erklärte Ziel lautete, dass die betroffenen Grünflächen der Landwirte bis zum Juni wieder zur Verfügung stehen sollten. Bis dahin mussten wir fertig sein. Das ist uns letztlich auch geglückt“, resümiert Peter Fritzenwanger, Bauleiter von Empl Bau. Er verweist darauf, dass die Rohrtrasse größtenteils durch Forstwege und Wiesen verlief, dass aber auch anspruchsvollere, auch durchnässte Hänge durchfahren wurden.

Rohrverlegung im Eilzugstempo
Da das Team von Empl Bau den unteren Trassenabschnitt realisierte, war man auch mit einer sehr breiten Künette zugange. Neben allen vier Rohrleitungen mussten darin auch LWL-Kabel und eine Stromleitung mitverlegt werden. Die Arbeiten des Teams Empl Bau erfolgten von unten nach oben, wobei man im Wesentlichen mit dem Kettenbagger das Auslangen fand. „Wir haben hier in einem Zug Rohrleitungen mit einer Gesamtlänge von 5,5 Kilometer erfolgreich verlegt. Das ist sportlich. Und dass die Druckprobe auf Anhieb erfolgreich war, spricht für sich“, sagt Fritzenwanger nicht ohne Stolz.
Nicht weniger herausfordernd gestaltete sich die Verlegung der Rohrleitungen im oberen Trassenabschnitt. Immerhin befinden sich die Lachalmquellen auf über 1.800 m Seehöhe. Damit war klar, dass das Team von HV Bau noch lange ins Frühjahr hinein mit Schnee rechnen musste. „Um den Zeitplan einzuhalten, mussten wir mit 3 Partien gleichzeitig arbeiten. Hinzu kam, dass wir es im oberen Trassenabschnitt zum Teil mit sehr steilen Hängen zu tun hatten“, erinnert sich Günther Kleineisen, Bauleiter von HV Bau. Um die Rohre an die schwer zugänglichen Bereiche der oberen Trasse zu liefern, kam mehrmals ein Transport-Helikopter zum Einsatz. Letztlich gelang es auch Günther Kleineisen mit seinem Team den anspruchsvollen Zeitplan einzuhalten. Mit Sommerbeginn dieses Jahres konnten die Rohrverlegungsarbeiten abgeschlossen werden. „Die beiden Baufirmen haben einmal mehr bewiesen, dass sie im Rohrleitungsbau über viel Erfahrung und Know-how verfügen. Dass die Arbeiten so reibungslos funktionierten, lag letztlich auch daran, dass sich beide sehr gut mitein­ander abstimmten“, sagt der verantwortliche Planer, Mathias Hochschwarzer von Patscheider & Partner. Im Nachhinein bilanziert man auch bei TRM höchst positiv. Schließlich war das Projekt auch für die Tiroler Rohre GmbH sehr wichtig, da sich darin ihre Firmenphilosophie wiederspiegelt: Themen wie Nachhaltigkeit, CO2-Reduktion, regionale Wirtschaftskreisläufe, werthaltige Investitionen und zukunftsfähige Lösungen für die Sicherung der Trinkwasserversorgung nehmen einen hohen Stellenwert beim Haller Traditionsunternehmen ein.

Druck aus 80 bar
Das Herz der neuen Anlage wurde im neuen Krafthaus, direkt oberhalb des Hochbehälters Bürgerwald installiert. Es handelt sich um zwei moderne Trinkwasserturbinen, die unabhängig voneinander von den beiden wasserreichsten Quellen, den Lachalmquellen und den Hocheckquellen angespeist werden. Während die größere, 2-düsige Turbine auf rund 40 l/s aus den Lachalmquellen ausgelegt ist, weist die kleinere 1-düsige Peltonturbine ein Schluckvermögen von rund  12 l/s auf. Es handelt sich um leistungsstarke Trinkwasserturbinen des Osttiroler Turbinenspezialisten Unterlercher, die für ihre Robustheit und Effizienz bekannt sind. Beide Turbinen sind trinkwasserecht ausgeführt. Das heißt, dass sämtliche wasserberührten Teile aus Edelstahl gefertigt sind. Zudem ist gerade die größere Maschine auf den beachtlichen Druck von 80 bar ausgelegt. Immerhin nutzt die Maschine heute eine natürliche Fallhöhe von rund 800 m. „Früher waren abschnittsweise Unterbrecherschächte eingebaut, um den Druck des Wassers abzubauen. Heute nutzen wir diese Energie, um Strom zu erzeugen. Das ist für unsere Gemeinde auch eine enorme ökologische Verbesserung“, räumt Wolfgang Kogler ein. 255 kW Leistung liefert die größere Maschine, die kleinere kommt auf circa 50 kW Leistung. Der Strom wird über eine neue, 600 m lange Energieableitung ins Netz der Salzburg AG eingespeist.

Inselbetriebsfähiges Kleinkraftwerk
Trotz der großen Bedeutung der beiden Trinkwasserkraftwerke hat die sichere Trinkwasserversorgung dennoch Vorrang. Aus diesem Grund wurde – wie bei derartigen Projekten üblich – auch ein Bypass integriert. Im Falle eines Turbinenausfalls kann auf diese Weise das Wasser weiterhin in das Trinkwasserversorgungsnetz gelangen. Überwasser wird entweder über eine separate Leitung in die Felberache oder in einen stadteigenen Zierteich geleitet. Die Steuerung und Leittechnik der Anlage wurde ebenfalls von einem Pinzgauer Unternehmen realisiert, das in diesem Bereich über beachtliches Know-how verfügt: Die Firma SalzachSonne aus Neukirchen am Großvenediger hat sich gerade am Sektor der erneuerbaren Energien in den letzten Jahren einen sehr guten Namen gemacht. Das moderne Leitsystem von SalzachSonne ermöglicht den Betreibern eine Überwachung der Anlagen in Echtzeit, Kontrolle und Zugang aus der Ferne sowie eine zuverlässige Automatisierung des Bypass-Systems. Darüber hinaus wurde der größere Maschinensatz inselbetriebsfähig ausgeführt, die Trinkwasserversorgung ist somit auch im Falle eines Netzausfalls sichergestellt.

Investition – die sich rechnet
Seit Mitte November sind nun auch die beiden Turbinen am Netz und erzeugen erstmalig Strom. „Wir rechnen im Regeljahr mit einer Gesamterzeugung aus beiden Anlagen von rund 1,5 GWh Ökostrom“, rechnet Mathias Hochschwarzer vor. Vor dem Hintergrund, dass den Anlagen über die OeMAG ein gesicherter Einspeisetarif für 13 Jahre zusteht, kalkulieren die Gemeindeväter mit einem jährlichen Stromerlös von circa 140.000 Euro. „Auf dieser Basis ist das Projekt wirtschaftlich absolut darstellbar. Wir gehen davon aus, dass sich die Investition in das Trinkwasserkraftwerk schon innerhalb dieser 13 Jahre amortisieren wird“, so Wolfgang Kogler. Wie es danach weitergeht, ist noch nicht ganz klar. Doch mit den neuen Optionen aus dem EAG (Erneuerbaren Ausbaugesetz) könnte in Zukunft damit der selbstproduzierte Strom auch für die eigenen Einrichtungen verwendet werden, heißt es aus Seiten des Mittersiller Rathauses.

Synergieoptionen genutzt
Dass man die Möglichkeit nun beim Schopf packte, war für Bauhofleiter Kogler nur logisch. Beim Gespräch mit den beauftragten Baufirmen meinten sie unisono: „So ein Potenzial heute nicht zu nützen – das wäre eine Sünde.“ Dank einer sehr umsichtigen Planung konnten im Rahmen des Gesamtprojektes gleich mehrere Synergieeffekte geschaffen werden, wie DI Mathias Hochschwarzer bestätigt: „Neben der hydroenergetischen Nutzung des Trinkwassers konnten im Rahmen der Bauarbeiten auch einige Almbauern ans Stromnetz angeschlossen werden. Außerdem wurden die Fassungen und die Quellsammelschächte nun elektrifiziert – und alles mit modernen Mess- und Steuerungseinheiten ausgerüstet. Das ist für die Überwachung der Anlage essentiell.“ Mit einer Gesamtinvestition von rund 3,65 Mio. Euro – wobei ca. ein Drittel auf das Kraftwerk und ca. zwei Drittel auf die Trinkwasser­-Infrastruktur entfallen – gilt das Gesamtprojekt als eines der größten der Stadtgemeinde in den letzten Jahren. Am Nationalfeiertag, am 26. Oktober, wurden der Bevölkerung bereits die neuen Anlagen präsentiert.

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