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Technischer Neustart hebt endlich das ganze Potenzial von KW Tannuwald7 min read

9. August 2021, Lesedauer: 5 min

Technischer Neustart hebt endlich das ganze Potenzial von KW Tannuwald7 min read

Lesedauer: 5 Minuten

Weder technisch noch wirtschaftlich war das alte Kraftwerk Tannuwald, gelegen im Simplon im Kanton Wallis, auf der Höhe seiner Zeit – und war es im Grunde auch nie.

1981 errichtet, wurde es mit sieben Pumpen für den Turbinenbetrieb ausgestattet, mit denen bis zuletzt nur ein suboptimaler Kraftwerksbetrieb möglich war. Der hohe Wartungs- und Instandhaltungsaufwand auf der einen und der miserable Wirkungsgrad auf der anderen Seite machten schließlich eine Kompletterneuerung durch die Betreiberin, die Energie Electrique du Simplon (EES), unumgänglich. Das Bauvorhaben konnte mit Sommerbeginn dieses Jahres erfolgreich abgeschlossen werden. Mit zwei neuen Turbinen des Südtiroler Wasserkraftspezialisten Troyer AG erzeugt das frisch renovierte KW Tannuwald nun um knapp ein Viertel mehr Strom als zuvor, in Summe rund 22 GWh. Und dank Vergütung über das KEV zählt die Anlage heute zu den wirtschaftlichsten Neuanlagen der Alpiq, die mit knapp 82 Prozent Mehrheitseigentümerin der EES ist.

Was hat der schlechte Wirkungsgrad eines Wasserkraftwerks im Walliser Simplon mit einer Goldmine in Südafrika zu tun? So einiges, wenn man in der Geschichte der Ökostromanlage kramt, die 1980 errichtet und ein Jahr später in Betrieb genommen worden ist. „Zu dieser Zeit war der Strompreis extrem niedrig. Entsprechend schwierig war es, den Bau eines Wasserkraftwerks wirtschaftlich darzustellen“, erzählt Bernard Valluy, Leiter des Bereichs Projektmanagement & Innovation bei der Alpiq in Lausanne. „Dann eröffnete sich den Projektbetreibern die Option, Pumpen zu einem sehr günstigen Preis zu erwerben. Diese waren ursprünglich für eine Goldmine in Südafrika vorgesehen, wurden aber nie bezahlt und somit auch nie dorthin geliefert. Man beschloss also, sieben Pumpen einzubauen und diese als Turbinen zu betreiben.“ Die vermeintlich „billige“ Lösung sollte sich aber über die Jahre als faktisch kostspielige entpuppen. Im Betrieb erwiesen sie sich als anfällig, der Wartungs- und Instandhaltungsaufwand war erheblich. Zudem seien sie nie über einen Wirkungsgrad von 80 Prozent hin­ausgekommen, wie Bernard Valluy betont. Und noch ein weiterer Minuspunkt bereitete den Betreibern Unbehagen: „Die Generatoren waren Asynchrongeneratoren, die viel Blindleistung ins Netz speisten. Leider verlangt die Netzbetreiberin SwissGrid dafür saftige Pönalen“, so der leitende Projektmanager. Kein Zweifel: Es war hoch an der Zeit, das KW Tannuwald technisch fit für das 21. Jahrhundert zu machen.

Neuverlegung der Druckrohrleitung
2017 wurde das Projekt auf Schiene gebracht, nachdem die Verantwortlichen von EES den Baubeschluss für eine Totalerneuerung des Kraftwerks gefällt hatten. Nach Vorliegen sämtlicher behördlicher Genehmigungen konnte bereits 2019 mit dem Bau begonnen werden, wobei man sich in der ersten Phase vor allem auf die Neu-Verlegung der 2,8 Kilometer langen Druckrohrleitung konzentrierte. Während die 9 Meter hohe Staumauer des auf 1.759 m ü. M. gelegenen Speichers Fah unangetastet blieb, wurde die alte Rohrleitung DN800 rückgebaut. Entlang der bestehenden Trasse wurde in der Folge der neue Kraftabstieg realisiert. Die Frage nach dem idealen Rohrmaterial war für die Verantwortlichen zu Beginn noch nicht ganz klar, wie Bernard Valluy bestätigt: „Wir haben überlegt, ob wir Guss oder Stahl verwenden. Haben uns aber angesichts der großen Dimension letztlich für Stahl entschieden.“ Geliefert und errichtet wurde die Stahl-Druckrohrleitung von den Branchenspezialisten Idroweld aus dem italienischen Piemont. Die Verlegung der neuen Druckrohrleitung der Dimension DN1000 in den steilen Hängen des Simplon zählt Bernard Valluy zu den größten Herausforderungen im Zuge der Projektumsetzung.

Montage im Lockdown
Die zweite zentrale Herausforderung kam plötzlich und gänzlich unerwartet ein Jahr danach: COVID 19. Und sie traf vor allem das Unternehmen, das mit der technischen Ausrüstung der Anlage betreut war – die Troyer AG aus Sterzing. Hubert Wassertheurer, Projektleiter bei Troyer AG, erinnert sich daran noch sehr gut: „Der Montagezeitraum fiel genau mit dem Höhepunkt der ersten Pandemiewelle und dem verhängten Lockdown zusammen. Dadurch kam es bei der Montage zu ungeplanten Unterbrechungen. Das war schon sehr unangenehm für alle Beteiligten. Durch geeignete Sicherheits- und Hygienemaßnahmen auf der Baustelle und dem verstärkten Einsatz von Montagepersonal nach dem Lockdown konnten wir den Zeitverlust wieder aufholen.“ Technisch gesehen stellte das Projekt die erfahrenen Wasserkraftspezialisten aus Südtirol kaum vor größere Herausforderungen. Ende Oktober 2018 erging der Auftrag an die Troyer AG. Ein Auftrag, der neben Konstruktion, Lieferung und Inbetriebsetzung von zwei 4-düsigen Peltonturbinen auch zwei Kugelschieber DN500 inkl. Revisionsdichtung sowie drei Kühlsysteme umfasste. Außerdem lieferten die Wasserkraft-Allrounder auch die beiden Generatoren der Marke ELIN Motoren sowie zwei dazugehörige Steuerungseinheiten.

Massive Leistungssteigerung
Für das Kraftwerk Tannuwald bedeutet dieses maschinentechnische Upgrade einen echten Quantensprung. Die beiden 4-düsigen Peltonturbinen sind auf einen Ausbaudurchfluss von je 1,3 m3/s ausgelegt und kommen bei einer Fallhöhe von 337 m auf eine Ausbauleistung von 4,16 MW. „Wir gehen jetzt von einer Engpassleistung von etwa 8 MW aus. Die 7 Pumpen erreichten damals höchstens 5,8 MW“, erklärt Bernard Valluy, räumt gleichzeitig aber auch ein, dass für den Leistungssprung nicht nur die starke Performance der neuen Maschinen, sondern auch eine moderate Erhöhung der Triebwassermenge verantwortlich sei. „Wir konnten die Tage mit Überlauf an der Staumauer Fah verringern und damit die Ausbauwassermenge von 2,1 m3/s auf nunmehr 2,7 m3/s erhöhen. Daher auch die Vergrößerung des Rohrdurchmessers.“
Warum die Projektbetreiber auf das Know-how der Firma Troyer setzten, ist für Valluy leicht erklärt: „Ein Turbinenspezialist der Alpiq konnte vor etwa 5 Jahren die Produktionsstätte in Sterzing besuchen – und war davon wirklich begeistert. Die ganze Fertigung hat einen sehr guten Eindruck gemacht. Das war sehr wichtig für uns, da wir zuvor noch keine Erfahrung mit dem Südtiroler Turbinenbauer gemacht hatten. Im Rahmen der Ausschreibung für die maschinentechnische Ausrüstung erwies sich das Angebot der Firma Troyer als das beste. Und letztlich hat sich das Vertrauen in das Unternehmen auch bestätigt.“

Logistisches Know-how gefragt
Gefordert war das Team der Firma Troyer unter anderem auch bei der Anlieferung zur Maschinenzentrale. „Die Zufahrtsstraße von Gondo hinauf nach Tannuwald ist steil und eng. Für den Transport brauchte es nicht nur einen guten Fahrer, sondern auch einen Spezial-LKW, der die Turbinenkomponenten an ihren Bestimmungsort brachte“, erinnert sich Hubert Wassertheurer. Auch die Montage an sich gestaltete sich nicht ganz einfach. Schließlich war durch die bestehende Gebäudehöhe auch die Kranhakenhöhe vorgegeben. Aus diesem Grund wurden am Turbinengehäuse Ausnehmungen vorgehsehen, damit der Generator montiert werden konnte. „Bedingt durch die beengten Platzverhältnisse war eine detaillierte Planung der Reihenfolge von Anlieferung und Einbau essentiell“, so Wassertheurer. Seit Mitte Juni 2020 dreht sich Turbine 1, die zweite Maschine folgte rund zwei Wochen später. Nach dem regulären Probebetrieb konnte die Anlage Ende Juli dieses Jahres in den Regelbetrieb überführt werden. Dabei zeigte das neue Maschinen-Duo von Anfang an, was in ihm steckt. „Alleine im Juni erreichte das Kraftwerk den 1,5-fachen Ertrag des bisherigen Juni-Mittelwerts. Das bedeutet einen Produktionsrekord – und das im Probemonat“, zeigt sich Bernard Valluy sehr zufrieden.

Keine Resilienz mit schlechten Turbinen
Insgesamt hat EES circa 21 Mio. CHF in das Projekt investiert. Dabei landeten die Projektverantwortlichen mit den Kosten exakt im Zielbereich, wie Valluy betont. Für ihn steht fest, dass das Kraftwerk Tannuwald nach 40 Jahren endlich technisch so realisiert wurde, wie es dem Stand der Technik entspricht. „Man darf eines nicht vergessen: Schlechte Maschinen bedeuten auch, dass ein Kraftwerk wirtschaftlich nicht sehr resilient gegenüber Schwankungen am Markt ist. Ein gutes Kraftwerk dagegen lässt sich auch dann wirtschaftlich betreiben, wenn die Preise am Markt ungünstig sind“, so der Fachmann. Er verweist darauf, dass mit den neuen Maschinensätzen und den neuen Steuerungseinheiten heute im Regeljahr ein Jahresarbeitsvermögen von 22 GWh erreicht wird. Das bedeutet gegenüber dem Altbestand eine Steigerung von 4 GWh.
Im Gesamtverbund mit den anderen beiden Simplon-Kraftwerken Gabi und Gondo liefert die EES heute rund 243 GWh ans Netz. Somit entfallen gut 9 Prozent auf das neue Kraftwerk Tannuwald, dessen wirtschaftliche Bilanz dabei deutlich höher zu bewerten ist. Valluy: „Obwohl das Kraftwerk weniger als 10 Prozent der Gesamtproduktion ausmacht, lukriert es 30 Prozent des Gesamtertrags. Dies liegt daran, dass der hier erzeugte Strom über das Förderregime des KEV (Kostendeckende Einspeisevergütung, Anm. d. Redaktion) abgerechnet wird. Es handelt sich somit aktuell um eines unserer wirtschaftlichsten Kraftwerke.“

Retrofitprogramm für KW Gabi
Um einen effizienten und sicheren Betrieb der Anlagen im Simplon sicherzustellen, investieren die Aktionäre der EES – Alpiq (81,9 Prozent), EnAlpin (10,8 Prozent), EWBN (3 Prozent), FMV (2,7 Prozent) und Privataktionäre (1,6 Prozent) – kontinuierlich in die Kraftwerke und deren Komponenten. Im Jahr 2017 sanierte die Energie Electrique du Simplon bereits das Wasserkraftwerk Gondo. Ab 2021 steht nun die Sanierung des Kraftwerks Gabi auf dem Plan, dessen Maschinen zwecks Leistungserhöhung ersetzt werden. Die Erneuerungsarbeiten an den Kraftwerksanlagen der EES dienen der optimierten Nutzung des Wasserkraftpotenzials und stehen somit im Einklang mit der Energiestrategie 2050 des Bundes.


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