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Very British: Oberösterreichischer Turbinenbauer realisiert erstes Projekt in England7 min read

22. August 2018, Lesedauer: 5 min

Very British: Oberösterreichischer Turbinenbauer realisiert erstes Projekt in England7 min read

Lesedauer: 5 Minuten

Im Rahmen einer feierlichen Eröffnung ging das Kraftwerk Knottingley in der englischen Grafschaft Yorkshire Anfang November offiziell in Betrieb.

Der auf hydroelektrische Stromerzeugung spezialisierte Projektentwickler Barn Energy hat mit der Anlage am „Brotherton Weir“ sein bereits drittes Wasserkraftprojekt innerhalb von drei Jahren im Norden Großbritanniens erfolgreich abgeschlossen. Das 660 kW Niederdruckkraftwerk ist gleichzeitig das leistungsstärkste Wasserkraftwerk, das seit dem Jahr 2000 im UK bewilligt wurde. Bei der elektromechanischen Ausstattung setzten die Betreiber auf das Know-how der GUGLER Water Turbines GmbH aus Oberösterreich. Das international erfolgreiche Unternehmen lieferte zwei horizontale Kaplan-­Turbinen inklusive riemengetriebener Generatoren sowie die gesamte Elektro- und Leittechnik. Mit dem Projekt in Yorkshire konnte GUGLER erstmals seine Kompetenz auf dem englischen Mark unter Beweis stellen.

Ein Blick Richtung Oberwasser von der Zentrale des neuen Wasserkraft Knottingley eröffnet den Betrachtern einen ungewöhnlichen Kontrast. Rund 800 m vom Anlagenstandort  Brotherton Weir ragen die Kühltürme des längst stillgelegten Kohlekraftwerks Ferry­bridge in die Höhe. Die Zeitzeugen aus Beton zeugen von einer langen Tradition der Stromgewinnung aus Kohle, die sich im späten 19. Jahrhundert auf der britischen Insel entwickelte. Schon 1882 ging im zentralen Londoner Stadtteil Holborn das erste Kohlekraftwerk der Welt in Betrieb. Nachdem die damalige englische Regierung schon im Vorfeld des Pariser Klimagipfels 2015 verkündet hatte, bis 2025 zur Gänze auf Stromerzeugung aus Kohlekraftwerken verzichten zu wollen, kann die Inbetriebnahme des Wasserkraftwerks Knottingley als kleiner aber wichtiger Schritt in die richtige Richtung betrachtet werden. Wie dringend der Ausbau nachhaltiger Stromerzeugungsanlagen im Vereinigten Königreich tatsächlich ist, zeigen die inselweiten Schadstoffmessungen während der vergangenen Jahre. Speziell in den Ballungsräumen wie London wurden im Vorjahr mehrfach für die Gesundheit gefährliche Grenzwerte deutlich überschritten. Dennoch gab es auch erfreuliche Nachrichten: An einem Wochenende im April 2017 vermeldete der Energieversorger „National Grid“, dass erstmals seit dem Beginn der industriellen Revolution in einem Zeitraum von 24 Stunden kein Strom aus Kohlekraftwerken erzeugt wurde.

Wehr nach Anlagenbau Fischdurchgängig
Die Errichtung des Kraftwerks Knottingley ist grundsätzlich eng mit dem Thema ökologische Nachhaltigkeit verbunden. So wurde im Zuge des Kraftwerksbaus das bislang für Gewässerlebewesen unpassierbare „Brotherton Weir“ mit einer großzügig dimensionierten Fischauf- und -abstiegsanlage ausgestattet. Regionale Arten wie Lachs oder Aal finden durch die als technischen Beckenpass ausgeführte Fischpassage nun optimale Bedingungen für ihre Wanderbewegungen vor. Damit die Fische nicht mit dem Weg des Triebwassers in die Turbinen schwimmen können, wurde oberwasserseitig beim Einlaufbereich ein mit 6 mm Stababstand ausgeführter Horizontalrechen positioniert. Die Planung und Umsetzung der mustergültigen Fischpassage erfolgte in direkter Abstimmung mit den zuständigen Umweltbehörden und nahmen auf finanzieller Seite rund 2 Millionen Pfund in Anspruch.
Barn Energy setzt auf Wasserkraft
Projektentwickler Barn Energy hat mit der Anlage Knottingley sein bereits drittes Wasserkraftwerk in Yorkshire seit 2015 realisiert. Finanziert wurde das Projekt durch am Strom­ertrag beteiligte private Geldgeber. Barn Energy betont in diesem Zusammenhang, dass Strom aus Wasserkraft  auf lange Sicht gesehen – die Anlage soll auch im Jahr 2117 noch produzieren – die günstigste und nachhaltigste Form der Energiegewinnung darstellt. Im Gegensatz zu den volatilen Energieträgern Sonne und Wind, deren Verfügbarkeit unmittelbar mit den aktuellen Wetterbedingungen zusammenhängt, kann ein Niederdruckkraftwerk im Idealfall ein ganzes Jahr hindurch Strom produzieren. Beim Kraftwerk Knottingley, das das rund 1.923 km² große Einzugsgebiet der nordenglischen Gewässer Aire und Calder nutzt, werden die Turbinen gemäß den Angaben der Betreiber im Durchschnitt mindestens 11 Monate jährlich Strom produzieren. Der Bau des seit dem Jahr 2000 größten Wasserkraftprojekts in England nahm insgesamt rund 15 Monate in Anspruch, im Sinne der lokalen Wertschöpfungskette wurde ein Großteil der Aufträge an regionale britische Unternehmen vergeben.

Erstes GUGLER-Projekt in England
Den Zuschlag zur Lieferung des elektro­mechanischen Komplettpaktes konnte sich der österreichische Wasserkraft-Allrounder GUGLER Water Turbines Gmbh sichern. Mit dem Auftrag in Yorkshire hat GUGLER ein weiteres erfolgreiches Projekt seiner umfangreichen internationalen Referenzliste hinzugefügt. Nachdem die Oberösterreicher bereits Ende 2016 für das Kraftwerk Clywedog in Wales im Westen von Großbritannien die komplette Technik geliefert hatten, war die Anlage Knottingley das erste jemals in England realisierte Projekt. Wie beim Projekt in Wales wurde der Auftrag für das Kraftwerk Knottingley auf organisatorischer Ebene in enger Zusammenarbeit mit Austin Flather von der ANF Consulting Ltd er­ledigt. Der Auftrag umfasste die gesamte maschinelle und elektrotechnische Kraftwerksausstattung inklusive Steuerung. „Das Design der Maschinen wurde speziell auf die wechselhaften Zuflussbedingungen am Anlagenstandort angepasst, um bei allen Bedingungen ein Optimum an Leistung zu erzielen. Innerhalb weniger Stunden kann das Wasserdargebot erheblich variieren und die nutzbare Fallhöhe somit um bis zu 1 m verringern“, erklärt GUGLER-Projektleiter Stefan Hartl das grundlegende Turbinenkonzept. „Die stark schwankende Fallhöhe erschwerte die Durchführung einer Indexmessung zur Ermittlung des Laufrad/Leitrad-Zusammenhangs, da während der Messungen im Rahmen der Inbetriebnahme nie konstante Bedingungen herrschten. Daher wurden an den Turbinen nachträglich Differenzdrucksensoren nachgerüstet, um die Feinabstimmung bei allen Fallhöhen im laufenden Betrieb ermitteln zu können“, ergänzt Michael Schober, Leiter Technologie und Entwicklung bei GUGLER.

Riemenantrieb für Generatoren
Obwohl die endgültige Auftragserteilung durch Barn Energy erst im Herbst 2016 erfolgte, wurde das erste maschinelle Konzept im Zuge der Ausschreibung von GUGLER schon rund ein halbes Jahr früher erstellt. Insgesamt stehen am Brotherton Weir eine Nettofallhöhe von 2,63 m und eine maximale Ausbauwassermenge von 34 m³/s zur Verfügung. Dieses energetische Potential wird mittels zweier völlig identisch konstruierter doppelt-regulierter Kaplan-Turbinen in horizontaler Ausführung hocheffizient in elektrischen Strom verwandelt. Als Energiewandler kommen zwei ebenfalls baugleiche Asynchron-Generatoren des Herstellers ATB Schorch zum Einsatz. Die Gehäuse der Turbinen wurden zur Gänze im Untergeschoss der Kraftwerkszentrale verbaut. Die erste Teillieferung und die Montage der Saugrohre erfolgte Mitte August des Vorjahres. Stefan Hartl merkt an, dass die mittels Riemen realisierten Verbindungen zwischen Turbinen- und Generatorenwellen eine ganze Reihe von Vorteilen mit sich bringen: „Die einstige Skepsis gegenüber Riemenantrieben im Wasserkraftbereich ist heutzutage völlig unbegründet. Durch technische Fortschritte und erhebliche Verbesserungen bei der Materialqualität verfügen moderne Riemensysteme über eine sehr hohe Qualität. Nicht zuletzt kommt eine Lösung mit Riemenantrieb weitaus günstiger als eine Variante mit Getriebe. Darüber hinaus ermöglicht der Riemen­einsatz eine optimale Übersetzung, wodurch in weiterer Folge die Generatoren kompakter dimensioniert werden können. In der jüngeren Vergangenheit haben wir beispielsweise in Italien mehrere Anlagen mit diesem bewährten Konzept umgesetzt.“

Geförderter Tarif schafft Termindruck
Das erste Andrehen der Turbinen hatte wegen einer strikten Terminvorgabe des britischen Netzbetreibers unbedingt bis zum 8. September 2017 zu erfolgen. Dabei musste für einen kurzen Zeitraum von wenigen Stunden Strom produziert werden. Wäre dieser Termin nicht mit der sprichwörtlichen britischen Pünktlichkeit eingehalten worden, hätten die Betreiber nach der endgültigen Inbetriebnahme keinen geförderten Stromtarif erhalten. „Weil eine Überschwemmung der Baustelle für eine Verzögerung des Terminplans sorgte, erfolgten die Montagearbeiten bis hin zur ersten ‚Pflichtinbetriebnahme‘ unter durchwegs hohem Zeitdruck. Dennoch konnte das erste Einspeisen fristgerecht eingehalten werden, die eigentliche Hauptinbetriebnahme erfolgte nach dem Abschluss der finalen Arbeiten rund 6 Wochen später“, sagt Hartl. Für die vollautomatische und effiziente Strom­produktion sorgte ebenfalls GUGLER mit der Installation moderner Elektro- und Leittechnik. Die intelligente Steuerung regelt die Strom­erzeugung völlig autonom und ermöglicht den Betreibern via Onlineanbindung rund um die Uhr Zugriff und Informationen aus der ­Ferne.

Turbinen auf 330 kW ausgelegt
Die offizielle Eröffnung fand schließlich Anfang November 2017 direkt beim neuen Kraftwerk Knottingley statt. Als Ehrengast konnte bei der Feierlichkeit der allseits beliebte Geoffrey Boycott, ein aus Yorkshire stammender ehemaliger Cricket-Nationalspieler begrüßt werden. Mittlerweile läuft das Kraftwerk im Regelbetrieb, der erzeugte Strom wird einerseits ins öffentliche Netz eingespeist und findet andererseits unmittelbare Verwendung am Anlagenstandort. Auf der gegenüberliegenden Flussseite wird eine große industrielle Getreidemühle direkt mit dem nachhaltig erzeugten Strom versorgt. Dank der fristgerechten Fertigstellung des Kraftwerks erhalten die Kraftwerkseigentümer für die kommenden 20 Jahre einen geförderten Stromtarif. Die Vergabe des geförderten Tarifs ist allerdings an die Bedingung gekoppelt, dass das Kraftwerk nur mit einer maximalen Leistung von 500 kW betrieben wird. Da die Turbinen aber auf eine Engpassleistung von jeweils 330 kW ausgelegt wurden, kann die Anlage erst nach Ablauf der 20-Jahres Frist ihr volles Potential ausschöpfen. Aktuell rechnen die Betreiber mit einer durchschnittlichen Jahresarbeit von rund 3 GWh. Nachdem die Anlage von den Projektentwicklern für eine Mindestbetriebsdauer von 100 Jahren berechnet wurde, stehen die Sterne überaus günstig für eine lange und nachhaltige Stromproduktion am Brotherton Weir.

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